Der zweite Tod
ging. Eine Nachricht, die während ihres Besuchs bei Annie auf ihrem Telefon eingegangen war, entband sie von ihren Überlegungen. Sie rief beim Observationsteam zurück.
»Der blaue Honda«, begann der lustige Peter. »Er ist um acht Uhr hier vor SHF wieder aufgetaucht. Und die Fahrerin kennen wir. Sie heißt Petra Hult und arbeitet dort.«
Mist, dachte Barbro. Sie hatte auf den roten Franzosen getippt. Petra Hult war auch die Halterin. »Wie ist der Wagen neulich vom Parkplatz gekommen?«
»Das sehen wir nicht von hier. Er stand aber nur einige Stunden da.«
Sie dankte und legte auf. Dann rief sie Kjell an und erzählte ihm davon. »Könnt ihr Petra Hult gleich festnehmen und absondern?«
Kjell versprach es.
Nachdem Observationsteam 3 gemeldet hatte, dass Fohlin seine Villa um 8 Uhr 44 verlassen hatte, fuhr Henning nach Appelviken hinaus. Das Haus lag auf einer der Anhöhen, um die sich die Straßen kreuz und quer wanden. Er parkte schief vor der Einfahrt und produzierte unnötigen Krach beim Aussteigen. Er schlug die Tür des Wagens hinter sich zu und klingelte einmal. Es tat sich nichts. Nach zwei Minuten klingelte er wieder, zweimal lang und noch einmal kurz. Während er noch überlegte, ob er eine komplette Kadenz hinterherschicken sollte, öffnete sich die Tür. Eine junge Frau trat unter das Vordach.
»Polizei«, rief er und wedelte mit seinem Ausweis. »Bitte öffne.«
Das Metalltor summte. Henning stieß es auf und ging die fünfzehn Meter zum Haus. Die Frau trug einen cremefarbenen Morgenmantel und war fröstelnd in den Flur zurückgewichen. Ob ihr Blick fragend oder abwartend war, musste ihn nicht kümmern. Wenn sie in den letzten Minuten telefoniert hatte, würde Sofi es ihm später erzählen können. Er hatte zwar eine Genehmigung in der Tasche, das Haus zu inspizieren, aber er hatte das nicht wirklich vor. Ein kleines Risiko war dabei, einen Volltreffer zu übersehen, aber er rechnete nicht mit so einer Dummheit. Er stellte sich vor und fragte, ob sie Tyra Fohlin sei. Die Frau nickte und bat ihn herein. Sie war so jung wie dieser Wintertag.
Tyra Fohlin führte ihn unsicher durch den Flur in das Wohnzimmer. Henning hatte es protziger erwartet. Am Fenster standen zwei im rechten Winkel aufgestellte, beigefarbene Sofas und ein heller Holztisch. Von außen sah man eine Bauhausvilla, innen stand man in einem Landhaus.
Tyra trug weiße Tennissocken, unter ihrem Morgenmantel ragten die Hosenbeine eines Pyjamas hervor.
»Darf ich fragen, wie alt du bist?«
»Fünfundzwanzig. Und du?«
»Ahm, neunundvierzig. Du bist Kenneths zweite Frau, nicht wahr?«
Tyra nickte. »Seit drei Monaten.«
»Ich habe nur einige Routinefragen. Entschuldige, dass ich so früh störe. Wir sind so schlecht besetzt, dass wir zu nichts kommen. Es wird ein schlechtes Ende nehmen mit diesem Land.« Henning blätterte orientierungslos in seinem Notizblock. Tyra musterte ihn abschätzig dabei. Er achtete darauf, dass sie nichts erkennen konnte, denn der Block enthielt nichts anderes als Einkaufslisten. »Also, erstens. Warst du am neunzehnten August auch mit in Nysättra, wo dieses Riesengewitter war?«
»August?« Sie schüttelte zaghaft den Kopf. Er ließ ihr einen Moment Zeit, damit sie fragen konnte, was Nysättra war.
Tyra konnte natürlich nicht dort gewesen sein. Henning wusste, dass Mari Kenneth Fohlin bisher nur einmal an jenem Tag im Sommerhaus getroffen hatte. Tyra war nicht dabei gewesen. »Es ist so«, erklärte er. »Es gibt einige Bilder von Kenneth und Carl von diesem Tag.«
Tyra dachte nach und schüttelte dann verwirrt den Kopf. Henning sah ihr an, dass sie überfordert war. Sie hatte mit anderen Fragen gerechnet. Und die würden jetzt kommen.
»Okay«, sagte Henning, der die Nummer eines geduldigen Finanzbeamten, der beim Ausfüllen eines Formulars behilflich ist, perfekt inszenierte. »Wo war denn Kenneth am Wochenende?«
»Dieses Wochenende?«
Henning nickte und hielt die Spitze des Kugelschreibers auf die Stelle des Papiers, an der er losschreiben wollte. Tyra war auf eine Weise vorsichtig, die auf Intelligenz hinwies. Offensichtlich wusste sie nichts und war nur in wenigen Punkten instruiert worden.
»Wir waren hier, zusammen.«
»Kann das jemand bestätigen?«
Sie zögerte. Mit dieser Frage kam sie nicht zurecht.
»Hast du zum Beispiel mit jemandem telefoniert?«
»Nein.«
»Hast du ein Mobiltelefon?«
»Ja.«
»Hast du dein Telefon bei dir gehabt, hat es vielleicht
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