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Der zweite Tod

Der zweite Tod

Titel: Der zweite Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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eine weiche Strickjacke.
    William seufzte. »Es ist so ruhig hier.«
    Wir sind ja auch in Maadi, dachte Sofi. Aber es war in der Tat für Kairo ungewöhnlich ruhig in dieser Straße. Sofi wurde ein wenig ungeduldig. Langsam musste er sich aufraffen. William drehte sich wieder zum Rückfenster. Er traute sich nicht, sie war sich jetzt sicher.
    »Du wartest hier«, sagte sie. William sah sie betreten, aber nicht unglücklich an. »Du nimmst dein Telefon und tippst diese Nummer ein. Das ist der ägyptische Geheimdienst. Dort rufst du an, wenn ich länger als eine halbe Stunde brauche. Gerate nicht voreilig in Panik, du weißt, dass hier alles länger dauern kann. Wir werden auf jeden Fall in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn du dort anrufst. Du musst dann sofort in die Botschaft fahren und dort bleiben.« William kniff die Augen zusammen. »Steig mit mir aus, und stell dich neben das Taxi. Halte deine Augen offen.«
    Er nickte und räusperte sich seine Scham von den Stimmbändern. Sofi wartete nicht ab, bis er etwas erwidern konnte, und stieg aus dem Wagen. Langsam schlenderte sie auf den Häuserblock zu. Sanfter Wind durchfuhr den Stoff ihrer Kleider und ließ eine Palme mit ihren Blättern rascheln. Die Schwere in ihr wurde weggetragen, obwohl sie mit dem Gegenteil gerechnet hatte. Sie drückte die Zunge gegen den Gaumen, um ruhiger zu atmen.
    In der Straße reihten sich flache Mehrfamilienhäuser aneinander, umgeben von bräunlichem Rasen mit vielen Kahlstellen. Die größeren Villen standen einige Blocks von hier entfernt. Sofi sprach zwei Mädchen an, die auf dem Rasen spielten. Das ältere Mädchen war um die zwölf und erwies sich leider als schüchtern. Die Kinder waren hier anders als in der Innenstadt. Aber es kannte die Adresse und deutete auf eines der Häuser, dessen Fassade ocker leuchtete. Sofi betrat das Treppenhaus, zu ihrem Erstaunen roch es darin nach Papier. Darunter lag die typische Kairener Schärfe, die die Mischung aus Putzmitteln und dem Blei der Autoabgase erzeugte.
    Auf der Treppe in den zweiten Stock machte sie sich Gedanken darüber, ob sie hier wohnen könnte. Oben klingelte sie an der Tür. Es gab nur diese eine. Dahinter war es still. Nach einer halben Minute öffnete sie sich mit einem schleifenden Geräusch. Eine Frau mit sehr dunkler Haut blinzelte durch den Türspalt. Nicht arabischstämmig, schoss es Sofi durch den Kopf. Hinter dem dunklen Gesicht lag ein düsterer Flur, in dem sie nichts erkennen konnte. Der Kopf der Frau und der Hintergrund verschmolzen miteinander.
    »Pitasun?«, fragte die Frau.
    Es klang sehr undeutlich. Sofi erkannte Peterssons Namen erst mit einiger Verzögerung wieder. Sie nickte. Die Frau wies sie auf Arabisch an zu warten und lehnte die Tür an. Sofi wartete, es kam ihr vor wie eine halbe Minute. Das Arabisch der Frau hatte gebrochen geklungen, soweit sie das beurteilen konnte. Statt der typischen Kehllaute hatte Sofi Knacklaute gehört. War das Berberisch? Sie hoffte auf Äthiopisch. Dann riss die Frau die Tür auf und stemmte Sofi einen Rucksack entgegen, hinter dessen Größe sie ganz verschwand. Mit solchen Rucksäcken stiegen Touristen in die Berge oder umrundeten die Welt. Sofi sah, dass er rot war, und zuckte zusammen. Sie umschlang den Rucksack, den die Frau gegen ihre Brust drückte. Er war viel leichter, als Sofi erwartet hatte. Die Frau nickte fragend. Sofi nickte auch, wusste nicht, was von ihr erwartet wurde. Dann schloss die Frau die Tür. Sofi hielt den Atem an und wandte sich zum Gehen. Sie lief die Treppen hinab, ohne das Gewicht des Rucksacks wirklich zu spüren. Draußen durchzuckte sie die Erleichterung wie ein Stromstoß, fast beschwingt schwebte sie über den Rasen.
    William lehnte wie befohlen hinter dem Taxi an einer Mauer. Sie überquerte die Straße und winkte unauffällig, dass er einsteigen solle. Am Wagen öffnete sie die Hintertür und hievte den Rucksack und sich selbst hinein.
    »Wir fahren zurück nach Zamalek«, rief sie nach vorne, und das Taxi startete.
    Sofi strich sich eine Fliege vom Unterarm und spürte dabei, wie nassgeschwitzt sie war. Sie sprachen nicht miteinander, aber sie bemerkte, dass Williams Blick auf ihr ruhte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal so glücklich gewesen war. Nichts ist schöner, als mutig gewesen zu sein. Wenn er nicht so schwach gewesen oder sie allein hergekommen wäre, hätte sie sich vielleicht nicht getraut. Seine Schwäche hatte sie stark gemacht. Ihr Mund war

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