Der Zweite Tod
nur zu gut, wie sie ihren Vater aufwühlen konnte.
»Ist es dir wirklich schlecht gegangen?«, fragte er, als sie allein im Aufzug zur Garage hinabfuhren.
Sie schüttelte den Kopf und wirkte angespannt dabei. »Es war nicht so schlimm.«
Bei ihm siegte die Neugier über alle Bedenken. Er zog den Schlüssel aus der Tasche und hielt ihn ihr hin. »Du darfst fahren, wenn du möchtest.«
Linda zog nur kurz vor Erstaunen ihre Augenbrauen hoch, nahm den Schlüssel und sagte: »Okay.« Zu sehen, wie seine zierliche Tochter in der Tiefgarage des Polizeihauses den Wagen aufschloss, sich hineinsetz te und die nötigen Einstel lun gen an Sitz und Spiegel vornahm, kam ihm unwirklich vor. Aber dann hörte es sich gut an, wie sie den Wagen anließ.
Jetzt würde alles auf ihre Aufmerksamkeit ankommen. Wer beim Verl assen der Wohnung den Müll mit hinunt ernimmt, dann aber vergisst, ihn in die Tonne zu werfen, neun Stationen lang mit der stinkenden Tüte in der U-Bahn steht und sich wundert, weshalb er von allen angestarrt wird, wer dann von zwei Schutz poli zisten dabei beob achtet wird, wie er ver sucht, die Tüte in der bestüberwachten U-Bahn-Station Nordeuropas unauffällig zu deponieren, der musste leider auch ertragen, dass er ausgiebig geprüft wird, bevor er allein Auto fahren darf.
Die Tiefgarage war nicht einfach. Es gab dort Ampeln, viele Rechts-vor-links-Fallen und am Ende hinter der Schranke eine frauen feind liche Stei gung, wo selbst er zwei mal in der Woche den Motor abwürgte. Linda hatte den Wagen und die Vorfahrt im Griff. An der Ausfahrt musste sie vor der Schranke halten und Kjell sich ausweisen. An der Steigung heulte nicht einmal der Motor auf.
Draußen quälte sich der Berufsverkehr auf der Hantverkargatan. Die Fahrbahn war zum Glück schneefrei. Ihre Mutter Madeleine hatte bereits sechs Jahre Berufsverkehr mit einem alten Ford hinter sich gehabt, bevor sie Kjell kennenlernte, der ihr erklärte, dass man das Kuppl ungspedal losl assen könne, wenn man vorher den Gang herausnahm. Madeleine hatte anscheinend mehrmals in der Fahrschule gefehlt und jahrelang die harte Kupplung gedrückt gehalten. Jeden Morgen und jeden Abend jeweils eine Stunde lang, immer wenn das Auto gerade stand. Ihm war es aufgefallen, weil ihr linkes Bein immer so zitterte, manchmal auch, wenn sie gar nicht am Steuer saß. Madeleine hatte es dann ungläubig ausprobiert und danach so glücklich und befreit gewirkt wie nie zuvor. Vielleicht hatte sie ihn aus Dankbarkeit dafür geheiratet, wer wusste das schon.
Kjell erzählte Linda die Geschichte, weil er prüfen wollte, ob sie sich auf zwei Dinge zugleich konzentrieren konnte. Sie lachte.
Er konnte der Erkenntnis nicht länger ausweichen. Neben der Malerei war das Steuern von Fahrzeugen offenbar Lindas Berufung. Wenn es mit der Mal erei doch nicht klappte, könnte sie also immer noch Panzerfahrerin werden. Sie war unverkrampft und konzentriert, hatte Zeit und Aufmerksamkeit für einige kürzere Dia loge mit ihm.
»Fahr auf den Esslingeleden«, schlug er vor. »Chauffiere mich ein bisschen herum.«
Sie fuhren schweigend eine halbe Stunde auf dem Stadtring und über wenig befahrene Straßen. Kjell hatte Gelegenheit, über Linda, das Auto und Carl Petersson nachzudenken.
»Du kannst die Prüfung machen und dann das Auto benutzen«, sagte er abschließend. »Du fährst richtig gut. Ich war damals viel schlechter. Von wem hast du das?«
»Na, von Barbro und Henning.«
Kjell berichtete ihr vom Morgen in der Wohnung, schuf für sie ein sinnliches Bild von allen Eindrücken.
»Kennst du einen John Osborne?«, fragte er am Ende.
Erst schluckte sie nach dem langen, stummen Zuhören. »Den Schriftsteller oder den Maler?«
Welchen Schriftsteller? »Den Maler.«
»Der ist ganz berühmt in Amerika. In Europa noch nicht so.«
»Er wohnt anscheinend in dem Haus. Ganz oben ist ein Atelier.«
Linda ver passte eine Mög lich keit zum Linksabbie gen, weil sie ihm zuerst ausgiebig darl egen musste, was das Besondere an Osbornes Bildern war. Er verstand nicht viel davon, was sie über Perspektive erzählte, obwohl es in seinem Beruf ja auch genau darum ging. Er wunderte sich, dass er seine Arbeit als Ermittler noch nicht mit bildender Kunst in Verbindung gebracht hatte. Die Perspektive war doch das A und O, das predigte er Sofi jeden Tag.
»Dann schaust du eben einmal bei ihm vorbei«, schlug er vor. Natürlich würde sie das nie wagen.
Er erkundigte sich nach Neuigkeiten in der Schule und
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