Der Zweite Tod
um Linda eine Fahrstunde zu geben. Seit dem Vormittag schneite es unablässig, und die beiden wollten nach Norden Richtung Haga-park, um dort auf einem einsamen Weg mit der Handbremse zu üben.
Kjell wartete gespannt auf Barbros Rückkehr. Sie war eine der wenigen Menschen, die Linda mit ihrer Meinung niemals schonten. Seit Beginn des Fahrunterrichts konnte er an Linda den einen oder ande ren Sin neswandel beob achten.
»Können wir über Linda sprechen?«, fragte Barbro nach ihrer Rück kehr.
»Ich wollte dir einen Vorschlag machen«, begann sie, als sie sich mit einer Tasse Kaffee und zwei Stück Kuchen in der Cafeteria gegenübersaßen. »Du wirst wohl nein sagen, aber ich glaube, dass Linda eine kleine Pause braucht. Das denkst du doch auch, oder?«
»Raffinierte Einleitung.«
»Sofi soll Linda mitnehmen.«
»Nach Ägypten?«
Bar bro nickte ent schie den.
»Bist du wahnsinnig?«
»Sie soll ja nicht mit zu der Kontaktadresse fahren«, lachte Bar bro. »Aber im Som mer wollten die beiden doch oh nehin zusammen nach Kairo fahren und diese Freundin besuchen. Nura heißt sie, glaube ich. Da das damals nicht geklappt hat, kann Sofi sie doch jetzt mitnehmen.«
Kjell rieb sich die Augen. Jetzt wurde die Lage noch chaotischer. Er betastete ängstlich seine Schilddrüse, ob sie schon anschwoll.
»Dort könnte sie einige Tage lang über sich, das Leben und die Liebe nachdenken«, fügte Barbro zur Bekräftigung hinzu.
Noch mehr Sorgen! Er schüttelte energisch den Kopf.
Barbro tätschelte seine Hand und grinste aufmunternd. »Das wird man später in der Geschichtsschreibung als Kjell-Ceder-ström-Kehre bezeichnen.«
Er lächelte gequält.
25
Kjell robbte auf der Matratze zum Fenster. Er konnte es vom Bett aus öffnen. Die Luft im Schlafzimmer war stickig, aber draußen war es zu kalt, um das Fenster die ganze Nacht offen zu lassen.
Der Eiswind schlug ihm ins Gesicht und trieb ihm Tränen in die Augen. Der schmale Streifen Schnee auf der Fensterbank war festgefroren. Er sah oft aus dem Fenster. Das taten hier alle. Wer auf Reimersholme wohnte, lebte am Fenster.
Wessen war zuerst nicht davon begeistert gewesen, dass sein Geschäft zu einer Mätressenapanage verkommen sollte, und schlug stattdessen eine Modeboutique für Ida vor. Deshalb hatte Kjell Ida gebeten, am Abend ein Buch für ihn abzuholen. Natürlich wusste sie nicht, dass sie das Opfer einer Intrige war, und hatte in treuem Glauben das Buch bezahlt und mitgebracht. Wessen hatte Idas Bewer bung ak zep tiert. Das Geschäft lag ja gleich bei ihr um die Ecke. Kjell hätte wissen können, dass die beiden sich kannten.
Er stand auf und ging in die Küche. Die türkisblauen Ziffern der Mik rowel lenuhr zeig ten zwei Uhr und drei zehn Mi nuten an. Er suchte die nötigen Zutaten zusammen und setzte einen Topf mit Wasser auf. In der Pfanne erhitzte er Olivenöl und gab Chilischoten und Knoblauch dazu. Es gab Spaghetti ultimae rationis.
Diese Ritualees gab eine Reihe davon - waren alle in den Wochen nach Madeleines Tod vor vier Jahren entstanden. Linda hatte nachts gewimmert, immer nur in der Nacht. Und ihm war nichts Blöderes eingefallen, als mit ihr Spaghetti zu kochen. Das hatte gut funktioniert. Bald waren die Gründe für diese Rituale weggefallen, die Trauer hatte sich gelegt, aber dennoch kochten sie nachts weiter. Keiner von beiden zweifelte an der Bedeutung. Diese Rituale schweißten sie zusammen, und Linda gefiel die Verruchtheit, drei Stunden vor dem Frühstück Spaghetti zu essen, die sie wegen ihrer Schärfe kaum herunt erbekam. Diese Ver traut heit zwischen ihnen spürte er seit Tagen nicht mehr. Er kam sich lächerlich vor bei dem, was er da tat.
Dann stand sie auf einmal in der Tür. Der scharfe Geruch musste sie geweckt haben. Vielleicht hatte sie gar nicht geschlafen, überlegte er, vielleicht hatte sie auch nur dagelegen. Sonst gab es immer ein Lachen und Hüpfen, wenn sie dann in die Küche kam, heute gab es nur ein verhaltenes Lächeln. Aber sie nahm das Angebot an und schien es im Gegensatz zu ihm gar nicht lächerlich zu finden.
Wortl os begann sie, den Tisch zu decken. Sie aßen schweigend. Mehrmals setzte sie an, etwas zu sagen, aber dann hielt sie inne, suchte seinen Blick und betrachtete ihn amüsiert.
»Schöne Grüße von Äke, deinem Physiklehrer.«
»Oh«, sagte sie. Ihre Stimme klang erfreut.
»Die Arbeit war gut, du hast dich bei Joe erst am Ende verrechnet. Ich soll dir ausrichten, dass man Summen nicht kürzen kann.
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