Der Zwerg reinigt den Kittel
leidtut?«
Doktor Klupp geht nahtlos vom Nicken in ein mechanisches Kopfschütteln über. Schon wieder keine Ahnung, klar.
»Dass ich so viele Busfahrer getötet habe. Unschuldige Männer mit unterschiedlichen Frisuren und dem immer gleichen Gesicht. Fahle Hautfarbe, entzündete Augen. Blutrot wie die Bremslichter hinten am Bus, darunter dunkle Ringe, so dunkel wie die Nacht, in der diese Männer wieder nicht geschlafen haben.«
Meine schlaflosen Brüder im Geiste.
Ich bitte euch um Vergebung, jeden Einzelnen von euch.
Betrachte es als Erlösung, Bruder.
Um kurz nach acht sind wir beim Theater. Der Bus hält auf dem Vorplatz, wir steigen aus und waten auf das Gebäude zu. Oben der Regen, unten die Sintflut. Am Golf von Neapel ist die Sonne längst aufgegangen, sie taucht die zerstörte und wiederaufgebaute Stadt in honigfarbenes Licht.
Der Rest des Tages ist eher ereignisarm.
Um halb elf beginnt die Vormittagsvorstellung. Pinocchio, das ultimative Erfolgsmusical für Kinder ab sechs. Ich helfe dem Hauptdarsteller ins Kostüm und fixiere die Teleskopnase. Ausziehbar beim Lügen, einziehbar, wenn Pinocchio wieder brav ist. Der Hauptdarsteller prüft den Mechanismus, die Nase klemmt, der Hauptdarsteller tobt. Ich nehme die falsche Nase wieder ab und reibe sie mit Vaseline ein. Die Nase funktioniert, ich ramme sie dem Hauptdarsteller in seinen behaarten Arsch.
Um halb zwölf trage ich einen Stapel frisch gewaschener Hemden für die Nachmittagsvorstellung aus der hauseigenen Reinigung in die Bügelkammer. Pinocchio, das ultimative Erfolgsmusical für Kinder ab sechs, hat gerade Pause. Der Weg aus der Reinigung in die Bügelkammer führt durch das Pausenfoyer. Ich wate durch eine Sintflut von hysterischen Kleinkindern, die an belegten Broten nagen und mit Keksen um sich werfen. Ich verheddere mich in einem Kleinkind, der Stapel rutscht mir aus der Hand, die Hemden sind hinüber. Ich nehme das Kleinkind und stopfte ihm sein belegtes Brot tief in den Rachen. Das Kleinkind röchelt, es läuft blau an und stirbt unter schrecklichen Zuckungen auf dem Boden des Pausenfoyers.
Um zwei schlitze ich einen Klarinettisten auf und stranguliere ihn mit seinem eigenen Dünndarm.
Um drei beiÃe ich einer Sängerin die Halsschlagader durch.
Um vier habe ich eine Handvoll Bühnentechniker auf originelle Weise zu Tode gefoltert.
Zwischen fünf und sechs stirbt so mancher.
Um sieben ist meine Schicht vorbei, und ich sitze wieder im Bus. Die Garderobierin neben mir verblutet an einer faustgroÃen Wunde in ihrem Hinterkopf.
Gewalt ist keine Lösung.
Gewalt ist das Rätsel.
Die Lösung bin ich.
»Und jetzt«, sage ich zu Doktor Klupp, »erklären Sie einer dummen alten Frau, wofür PTBS steht.«
1
Mein dritter Tag in Rente. Ich knie auf dem Küchenboden vor dem Herd und schabe Angebranntes aus dem Backofen. Es handelt sich um verkohlte Pizza in mehreren Schichten, die unterste dürfte aus dem Mesozoikum stammen.
Pizza aus der Kreidezeit.
Pizza aus dem Mittelalter.
Jetzt kratze ich gerade am 18 . Jahrhundert herum, immerhin. Wenn ich so weitermache, schaffe ich es bis zum Abend in die Zeit der ersten Hexenverbrennungen.
Das war so eine Idee von mir, das mit dem Backofen.
Der Regen, die Salatschüssel, ich liege seit zwei Tagen und zwei Nächten rauchend im Bett, wenn ich so weitermache, stehe ich nie mehr auf. Habe ich mir gedacht, das war heute Morgen.
Ich werde immer tiefer ins Bett sinken, jeden Tag ein paar Millimeter. Die Salatschüssel wird überquellen, egal, ich werde die Zigaretten am Bettpfosten ausdrücken und einfach auf den Boden werfen oder Richtung Fenster, manchmal treffe ich die Scheibe, manchmal nicht, egal.
Das Bettzeug fängt an zu riechen. Egal.
Ich muss aufs Klo. Egal.
Wenn ich so weitermache, werde ich bald keinen Hintern mehr haben und kaum noch einen Rücken. Alles wundgelegen. Dekubitus vierten Grades, Verlust aller Hautschichten, Nekrose des subkutanen Gewebes, Blutvergiftung, Exitus. Wenn ich nicht schon vorher an Dehydration gestorben bin.
Wir alten Leute vertrocknen gerne. Viele von uns verhungern freiwillig. Manche liegen lieber auf ihren eiternden Geschwüren herum, als noch einmal aufzustehen und ihren Backofen auf Vordermann zu bringen. Wir geben gerne auf, wir alten Leute, wenn unser aktives Leben als Steuerzahler vorbei ist und es auÃer einem verdreckten Backofen nichts
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