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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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Oder Kekse, in einem Behindertenheim. Vielleicht war ich auch gerade im Zoo, erst bei den Elefanten, dann bei den Nashörnern, jetzt bin ich bei den Pinguinen und erkläre der demenzkranken Greisin, die ich im Rollstuhl von Gehege zu Gehege schiebe, zum fünften Mal, dass ich nicht ihre Mutter bin. Und auch nicht ihre Schwester. Und dass der Pinguin ganz links im Gehege nicht ihr verstorbener Mann ist.
    Â»Alle tot!«, brülle ich die blöde Alte an. »Sie sind alle tot, verstehst du!«
    Ziemlich professionell, was ich da so treibe als ehrenamtliche Altenbetreuerin, also rein theoretisch.
    Ich zerknülle den Brief und werfe ihn auf den Boden. Ich nehme die erste Broschüre, das dürfte die mit den Informationen sein. Auf dem Cover ist eine Frau mit schneeweißem Haar. Flotter Stufenschnitt, sympathische Lachfalten um die Augen, der Rest erstaunlich glatt. Sie trägt eine rote Clownsnase. Auf ihrem Schoß sitzt ein glatzköpfiges Kind, geschätzte sieben. Keine Augenbrauen, keine Wimpern, Hautfarbe: saure Milch. Im Arm steckt eine Kanüle, der Schlauch führt zu irgendeinem medizinischen Gerät außerhalb des Bildes.
    Ich lächle dem Kind zu, es lächelt zurück, todgeweiht.
    Wir verstehen uns, Kleiner!
    Ich werfe die Broschüre auf den Boden. Ich nehme die zweite Broschüre. Auf dem Cover ist schon wieder eine Frau mit schneeweißem Haar und sympathischen Lachfalten, wahrscheinlich die Schwester von der ersten oder die Kusine. Ab einem gewissen Alter sehen alle gut erhaltenen Frauen gleich aus, egal, wie alt sie wirklich sind. Zumindest, wenn es nach den Leuten geht, die solche Broschüren machen.
    Die Schwester oder Kusine sitzt mit angewinkelten Beinen auf einem Sofa. Hellgrüne Shorts, gebräunte Schenkel, alles erstaunlich glatt. Neben ihr, im Schneidersitz, eine Göre mit Basecap. Auf dem Sofatisch liegt die Broschüre, die ich gerade in der Hand halte. Die Göre zeigt auf die Broschüre und lacht der Schwester oder Kusine, die wahrscheinlich ihre Oma ist, aufmunternd zu. In ihren fröhlichfrechen Teenageraugen steht: Lass uns spielen, Omi! Omi lächelt erfreut und bestätigend zurück.
    Gehirnjogging für Alt und Jung.
    Ich lege die Broschüre auf den Nachttisch. Jetzt kein Gehirnjogging, vielleicht später. Später vielleicht, kann ja nicht schaden. Wenn das klappt mit der Blutvergiftung in, sagen wir, acht bis neun Tagen, dann will ich bei klarem Verstand sterben.
    Achte Nacht.
    Das mit meinen Händen ist echt ein Problem. Ich habe die Dinger einfach nicht unter Kontrolle. Gerade haben sie noch ein paar Chips aus der Packung gezogen, wie angeordnet, jetzt kramen sie ohne Befehl in der oberen Schublade herum und suchen etwas.
    Das Foto.
    Klar.
    Sie können es einfach nicht lassen, die alten Affenpfoten.
    Es ist aber auch wirklich ein gutes Foto, das muss man so sagen, da kann man nicht meckern. Ein wirklich guter Schnappschuss, geschossen von mir und meinen Pfoten, die damals noch menschlich waren und die Kamera gehalten haben.
    Ich habe sehr menschliche Hände gehabt, müssen Sie wissen. Sehr menschlich und ziemlich schön. Jeder hat irgendetwas, von dem er glaubt, dass es schön ist. Der Mund, die Schultern, die Kniekehlen, was auch immer, bei mir waren es die Hände.
    Doktor Klupp nickt. Ich glaube, er versteht zum ersten Mal, wovon ich rede.
    Achte Sitzung.
    Â»Meine Hände«, sage ich, »sie waren so schön wie Ihre.«
    Er nickt.
    Â»Ziemlich gefährlich, sowas zu sagen, ich meine: Sag zu jemandem: ›Ich habe schöne Hände‹ oder ›Ich habe schöne Kniekehlen‹, und er wird dich auslachen, nicht wahr?«
    Er nickt.
    Â»Wirklich wunderschön, Ihre Hände, Herr Doktor. Hat Ihnen das schon einmal jemand gesagt?«
    Er seufzt, dann lächelt er mich vorsichtig an. Das Lächeln sieht aus wie eine kleine Tür, die sich in seinem Gesicht öffnet, jetzt nichts wie rein, bevor er wieder zumacht.
    Â»Herr Doktor«, sage ich mit einer Stimme wie warme Honigmilch, »bitte erklären Sie einer dummen alten Frau doch endlich, wofür PTBS steht.«
    Die Tür geht ein Stück zu, aber nur ein Stück.
    Â»Was immer es ist, es wird mein …«, ich suche nach einem honigfarbenen Wort, »mein Vertrauen in Sie nicht belasten.«
    Er sieht mich ein paar Sekunden prüfend an, sein Lächeln ist nur noch ein schmaler Spalt, aber es ist da. Jetzt seufzt er

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