Der Zwerg reinigt den Kittel
Desinfektionsmittel, Killerkönick sitzt mit ihrer neuen Frisur auf dem Sofa im Wohnzimmer und starrt Löcher in die Luft, aus denen etwas heraustropft, das man als Sirup oder Schleim bezeichnen könnte.
Karlotta hat mir nie erzählt, wie er war, ihr ganz persönlicher Rentenschock, aber so ähnlich muss er gewesen sein. So stelle ich mir das vor, und vielleicht war Karlotta ja kurz davor, sich zu fragen, warum sie sich eigentlich so leer fühlt und wer sie eigentlich ist. Aber da ist ihr zum Glück etwas ganz anderes eingefallen.
Das Foto.
Sie zieht es aus der Hosentasche, die Farben sind ein bisschen verblasst, aber sonst: alles da. Urlaub 1983 steht hinten auf dem Foto, und da hat Karlotta eine Idee. Sie strafft die Schultern, sie steht auf und geht zum Telefon. Auf dem kurzen Weg zwischen Sofa und Telefon wachsen ihr Flügel.
Wie das mit mir und meinem ganz persönlichen Rentenschock war und was ich gerade gemacht habe, als der Erzengel auf meinen Anrufbeantworter gequatscht hat, das wissen Sie ja.
Bei Suzanna war es so ähnlich. Sie war gerade im Bett, mit hochgelagerten Beinen, und hat Rätsel in Reimen gelöst, hat sie erzählt.
Ein groÃer Raum heiÃt â Saal.
Ein Säugefisch heiÃt â Wal.
Schmerzen sind eine â Qual.
Um den Hals legt man den â Strick.
Marlen behauptet, dass sie einkaufen war, aber das halte ich für eine Lüge. Ich glaube, sie war auch im Bett. Vielleicht hat sie ihre Acrylnägel lackiert oder ihre Augenbrauen gezupft. Vielleicht hat sie auch einfach nichts gemacht und so lange an die Decke gestarrt, bis der Putz abgebröckelt ist. Marlen schafft das, böser Blick.
Zwei Tage später haben wir uns getroffen, in einem Café bei Karlotta ums Eck. Gut besucht, alle Tische besetzt, in zentraler Position: Karlotta Könick, die Arme vor der Brust verschränkt, aufrecht wie ein General, der seine Truppen auf den Endsieg einschwört.
Ich habe sie seit vierzig Jahren nicht gesehen.
Ich habe sie gleich erkannt.
Sie war ziemlich verschrumpelt, das ja, und noch viel kleiner, als ich sie in Erinnerung hatte. Die Locken waren auch weg. Bürstenschnitt, klassische Version: alles abrasiert, bis auf ein schmales Stoppelfeld ganz oben.
Das ja, aber sonst: Karlotta Könick, wie gehabt.
»Ein Geschenk«, habe ich gesagt und ihr die Armeejacke gegeben.
Sie war gerührt.
Zwei Minuten später ist Marlen gekommen, total aufgetakelt, klar. Zuerst denkst du, da kommt eine elegante alte Dame, und bewunderst, wie schlank sie ist. Hosenanzug, tailliert, schimmerndes Material, leicht transparent, wahrscheinlich Seide, schmaler Gürtel aus Schlangenleder.
Und dann siehst du es.
Die Acrylkrallen, die in rote Spitze eingefassten Ziegentitten unter dem Stoff, das nuttige Make-up. Das vor allem.
Nimm einen Leguan und mal ihn bunt an, und du hast das Bild.
Marlen Stauffenbach, die uns seit vierzig Jahren nicht gesehen hat, setzt sich an den Tisch und sagt grinsend: » Ihr schon wieder.«
Die Tür geht auf, Suzanna kommt herein. Sie sieht sich suchend um, wir erkennen sie nicht gleich, Marlen rafft es als Erste.
»Meine Damen und Herren«, sagt sie laut, »darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Soeben hat das zweite der sieben Weltwunder den Raum betreten: der Koloss von Rhodos.«
Alle Blicke wandern zur Tür, betretenes Schweigen, keiner lacht. Bis auf Suzanna.
»Du bist ja sowas von gemein«, kichert sie und watschelt schwerfällig auf uns zu. Sie lässt sich ächzend auf den letzten freien Stuhl fallen, ich helfe ihr aus der schmuddeligen Joggingjacke, unter der eine andere schmuddelige Joggingjacke zum Vorschein kommt.
»Danke, Schätzchen«, sagt sie, und dann ist es so weit. Dann sitzen wir da, wir vier. Und jetzt stell dir vor, du bist eine von uns: Was sagst du?
Was sagst du, wenn du deine besten Freundinnen wiedertriffst, nach vierzig Jahren?
Karlotta (zu Suzanna): Mein Gott, bist du fett geworden.
Suzanna (fröhlich): Ja. Nicht wahr!
Marlen (zu Karlotta): Schöne Frisur. Wer hat dir die Haare abgebissen? Ein deutscher Schäferhund?
Karlotta (bissig): Sehr witzig.
Marlen (zu Almut): Und wie gehtâs dir so? Immer noch nikotinsüchtig und depressiv?
Almut (zu Marlen): Und du? Immer noch mit Klauspeter zusammen?
Karlotta (präzisierend): Klauspeter, der Neunte.
Marlen (abwinkend): Eins bis neun, alle tot. Zehn bis dreizehn auch.
Suzanna (herzlich): Das
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