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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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Hände. »Jetzt du«, sagt sie zu Marlen. »Wer nicht … will, muss fühlen.«
    Â»Denken«, sagt Marlen. Sie nimmt das Schnapsglas und kippt es mit zurückgelegtem Kopf in ihren weit geöffneten Höllenschlund. Jubel der Dämonen.
    Â»Genau«, sagt Karlotta. »Wenn du diesen«, tipp tipp, »Scheißdreck bekommst und nicht scharf nachdenkst, wirst du es zu spüren bekommen. Du wirst es am eigenen Leib erfahren, was sie mit dir machen, wenn du dich nicht wehrst. Wenn du keinen Plan hast. Keine Strategie. «
    Der Kellner nähert sich vorsichtig, seine Schritte sind lächerlich klein, er trippelt so leise wie möglich auf uns zu, ein Mann auf Taubenfüßen.
    Â»Letzte Runde?«, sagt er sehr leise und sehr hoffnungsvoll.
    Â»Haben Sie je daran gedacht, Souffleuse zu werden?«, sage ich. »Sie flüstern so schön.«
    Â»Ã„h«, sagt der Kellner.
    Â»Die Antworten werden immer besser«, grinst Marlen.
    Â»Wenn die Rippchen nicht bald kommen«, sagt Suzanna freundlich, »dann esse ich dich, Schätzchen.«
    Karlotta bestellt Espresso und noch eine Runde Schnaps. Dann bestellt sie doch keine Runde Schnaps, sondern einfach die ganze Flasche, und der Kellner flüstert, dass, äh, nun ja, das Lokal eventuell bald schließt, weil nicht so viel los ist heute, wie die Damen ja selbst sehen, und ob die Damen sich vielleicht in ein anderes Lokal, äh, begeben könnten.
    Â»Mein lieber junger Freund«, sagt Marlen mit einer Stimme, die man als Gift an Tauben verfüttern könnte, »ich weiß nicht, von welchen Damen du sprichst. Soweit ich sehe, gibt es hier nur eine Dame, und diese Dame ist der Meinung, dass du jetzt sofort deinen Arsch in Bewegung setzt und dem Kampfzwerg in der Militärmontur seinen Espresso bringst. Außerdem bringst du dem Fleischberg seine Rippchen und dem nikotingelben Psychowrack einen neuen Aschenbecher. Und wenn du für die Schnapsflasche länger brauchst als eine Minute, dann werde ich dich essen, egal, wie viele Kalorien du hast.«
    Eine halbe Minute später steht alles auf dem Tisch. Der Kellner verschwindet hinter der Schwingtür zur Küche, wir haben ihn nie wiedergesehen. Dafür haben wir gesehen, was mit uns passiert, wenn wir uns nicht wehren. Was mit jedem passiert, der in Rente geht und sich nicht wehrt.
    Karlottas Schilderungen: einfach, aber überzeugend; nicht besonders bildhaft, aber plastisch genug, um abscheulich zu sein. Außerdem chronologisch geordnet:
    Am Montag spielst du den Clown auf einer Kinderkrebsstation; am Dienstag strickst du Mützen für unterkühlte Frühgeborene; am Mittwoch schiebst du Rollstuhlgreise durch den Zoo; am Donnerstag gibst du Jugendlichen mit Migrationshintergrund Nachhilfeunterricht in Deutsch; am Freitag erklärst du den Jugendlichen aus dem Donnerstagskurs, dass Gewalt keine Lösung ist und Drogen nicht glücklich machen.
    Â»Und am Samstag?«, sagt Suzanna traurig. »Haben wir da frei?« Sie beißt in ein Rippchen.
    Â»Am Samstag gehst du shoppen, um den Konsum anzukurbeln. Am Sonntag regenerierst du deine Arbeitskraft beim Nordic Walking.« Karlotta schenkt nach.
    Â»Gehirnjogging nich zu vergessn«, sagt Marlen mit Todesverachtung und Zungenschlag. Genaugenommen ist es nicht Marlen, die das sagt. Es ist Akephalos, der Mordlüstige, und er spricht mit einer Stimme, die man als Massenvernichtungswaffe an einen Schurkenstaat verkaufen könnte.
    Â»Genau«, sagt Karlotta, »nur nichts vergessen. Immer schön klar bleiben im Kopf, damit du nicht eines Tages den Rollstuhlgreisen die Babymützen aufsetzt und die unterkühlten Frühgeborenen an die Raubtiere im Zoo verfütterst.«
    Ich streife meine Zigarette am Aschenbecher ab.
    Â»Wäh!«, kichert Suzanna mit fettglänzenden Lippen und zeigt auf mein Glas. Wie es aussieht, habe ich da gerade etwas durcheinandergebracht. Die Asche treibt für einen Moment hilflos auf der Schnapsoberfläche, dann sinkt sie ihrem Verderben entgegen.
    Â»Selber wäh«, sage ich zu Suzanna und versuche, mit einem Finger auf Suzannas Lippen zu zeigen, weil ich mit »wäh« ihre Lippen meine und den kleinen Fetzen Fleisch, der ihr im Mundwinkel klebt, aber meine alte Affenpfote schafft nur ein schwaches Wedeln. Der runzlige Zeigefinger wackelt orientierungslos hin und her, dann deutet er auf etwas Glänzendes, das sich eher unscharf in einem

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