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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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wenn du ein Mensch sein willst, dann musst du Krieg führen, und wenn gerade kein Krieg in der Gegend herumliegt, dann musst du dir einen suchen, und wenn du keinen findest, weil du keine Lust auf Fernreisen in irgendwelche Krisengebiete hast, dann musst du ihn dir selbst machen.
    Bastelanleitung für den totalen Krieg in Zeiten des totalen Friedens, Copyright Karlotta Könick.
    Die Details sind nicht so wichtig, du kannst dir deinen Krieg auch stricken oder häkeln, würde Karlotta sagen, Hauptsache Krieg.
    Sonst wird dir langweilig.
    Sonst fängst du an, in der Nase zu bohren.
    Löcher in die Luft zu starren.
    Du sitzt da, den Finger in der Nase, aus den Löchern in der Luft tropft die Zeit, sie ist aus Sirup, dickflüssige Sekunden, schwerblütige Minuten, du denkst:
    Mein Gott, bin ich lustlos.
    Mein Gott, bin ich leer.
    Und wer bin ich eigentlich, mein Gott?
    Scheißdreck!, sagt Karlotta. Steh auf!, sagt Karlotta. Mach dich nicht selbst fertig, sondern jemand anderen. Geh raus, such dir einen Feind und mach ihn fertig!
    Mit allen Mitteln, die du kennst.
    Mit allen Waffen, die du hast.
    Sei klug, sei tapfer, sei grausam. Sei ein Mensch!
    Ich meine, Karlotta muss es wissen, nicht wahr. Sie war jahrzehntelang Sportlehrerin in einem Gymnasium und hat jahrzehntelang versucht, aus rohem Menschenmaterial im Alter zwischen elf und achtzehn richtige Menschen zu formen.
    Richtig spannende Menschen.
    Krieger.
    Klimmzüge bis zum Weinkrampf, Liegestütze bis zum Zusammenbruch, jedes Basketballspiel ein Schaukampf auf Leben und Tod, jedes Zirkeltraining ein albtraumhafter Parcours durch sämtliche Höllenkreise.
    Karlotta hat den Krieg in die Turnhallen getragen und selbst Krieg geführt gegen Generationen von Jugendlichen, die nur eines wollten: ihren Frieden. Rauchen oder kiffen auf dem Klo, in einer stillen Ecke noch schnell die Hausaufgabe in Mathe machen oder einfach nur in der Umkleide abhängen und warten, bis der Wahnsinn aus Schweiß und Tränen, der sich gerade in der Turnhalle abspielt, vorbei ist.
    Befreit vom Sportunterricht. Die magische Formel. Bei Karlotta in etwa so wirksam wie Brustwickel gegen Lungenkrebs.
    Sehnenscheidenentzündung? Zehn Klimmzüge mehr!
    Asthma? Da hilft nur Dauerlauf!
    Menstruationsbeschwerden? Ab in den Handstand, Mädels, und wenn euch das Blut in schleimigen Fäden aus der Nase rinnt, dann seid ihr auf dem richtigen Weg. Dann bekommt ihr eine Ahnung davon, was Beschwerden sind.
    Sport war nie das Thema in Karlottas Sportunterricht.
    Leibeserziehung? Lächerlich! Hat sie immer gesagt. Ein guter Krieger braucht keine Muskeln, er braucht einen Feind. Jemanden, den er aus tiefstem Herzen hassen kann, die körperliche Kraft kommt dann ganz von selbst, und ich will gar nicht wissen, wie viele von Karlottas ehemaligen Schülern sagen würden, dass sie genau das von Karlotta gelernt haben. Dass sie in ihrem ganzen Leben keinen Menschen so abgrundtief gehasst haben wie ihre Sportlehrerin Frau Könick, genannt Killerkönick.
    Ein voller pädagogischer Erfolg, wenn Sie mich fragen.
    Und dann ist der Krieg plötzlich aus. Killerkönick geht in Rente, geschätzte zweihundert Stück Menschenmaterial zwischen elf und achtzehn atmen auf. Karlottas Nachfolgerin ist eine fröhliche junge Frau mit kastanienbraunen Locken, sie heißt Babsi oder Biggi, und sie will vor allem eines: den Kids beibringen, dass Bewegung Spaß macht.
    Killerkönick sitzt in ihrer Wohnung. Ruhestand, erster Tag. Sie starrt Löcher in die Luft.
    Heute Morgen hat sie den Backofen geputzt, der sowieso sauber war, dann den Kühlschrank. Schlafzimmer, Bad, Flur. In der Abstellkammer findet Killerkönick ein altes Foto, sie steckt es in die Hosentasche und putzt weiter, und während sie die sauberen Regale in der Abstellkammer sauber macht, denkt sie nur an eines: an den Frieden, gegen den sie jahrzehntelang Krieg geführt hat, und dass er jetzt auf ihrem Schlachtfeld, in ihrer Turnhalle das Kommando übernommen hat.
    Killerkönick geht ins Bad und betrachtet sich im Spiegel. Die knittrigen Lider, den Fächer aus Falten um den Mund, die dünnen Altfrauenlöckchen, die früher auch einmal so etwas waren wie kastanienbraun. Jetzt sind sie weiß, mit einem Schuss Uringelb. Killerkönick nimmt den Rasierapparat, mit dem sie sonst ihre Beine enthaart.
    Am späten Nachmittag ist alles geputzt, die Wohnung riecht nach Essigreiniger und

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