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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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er zu spät kommt.
    Zweitens, weil er überhaupt kommt.
    Eine Spritztour in einem Mercedes der oberen Preisklasse, sagt Marlen, ist weitaus attraktiver als eine Fahrt in etwas, das verdammt nach einem Leichenwagen aussieht.
    Der Leichenwagen hält, der Chauffeur steigt aus.
    Â»Sorry, bin krass zu spät, ich weiß, aber Frau Fitz ist ausgebüchst und hat sich verirrt. Musste die Lady erst einfangen, hat gedauert. Aber jetzt bin ich ja da.«
    Marlen mustert den jungen Mann im kurzärmeligen T-Shirt. Unter seinem Basecap quellen ein paar kräftige schwarze Haare hervor, die Oberarme sind auch ziemlich kräftig. Hüften: schmal. Bauch: keiner. Gleich wird sie ihn zur Sau machen.
    Â»Und Sie sind also der Chauffeur«, sagt Marlen mit einer Stimme, für die es unterschiedliche Vergleiche gibt.
    Das Gurren einer Taube.
    Das Schnurren einer Katze.
    Ich hätte es wissen müssen.
    Marlen hat in den letzten fünf Jahrzehnten dreizehn Klauspeters weggefrühstückt, dazu eine unbekannte Zahl an Chauffeuren und Poolreinigern mit schwarzen Haaren und kräftigen Oberarmen, die entweder Marko oder Nino heißen.
    Klingt nach Klischee, meinen Sie?
    Sie haben ja keine Ahnung.
    Â»Der Chauffeur?«, sagt der Chauffeur, der entweder Marko oder Nino heißt. »Na ja, sagen wir: Ich bin der Fahrer.«
    Â»Schluss mit dem Geplänkel«, sagt Karlotta. »Los geht’s, aber zackig!«
    Marko oder Nino sieht sich suchend um. »Irgendwas zum Einladen? Rollstühle? Rollatoren?«
    Â»Nur den Wal«, sagt Suzanna, die immer noch auf dem Boden sitzt.
    Marko oder Nino versteht sofort. Er verzieht keine Miene und geht auf Suzanna zu. Er beugt sich zu ihr hinunter, er greift ihr mit zwei kräftigen Jungmännerhänden gekonnt unter die Achselhöhlen und drückt ihren Oberkörper an seinen. Dann hebt er sie hoch, so behutsam und leicht, wie man einen Säugling hochhebt.
    Suzanna Otte, der große weiße Wal, wiegt für einen Moment nicht mehr als ein Neugeborenes, und so ist das im Leben: Wie schwer du bist, hängt davon ab, wer dich in den Arm nimmt.
    Marko oder Nino stellt Suzanna vorsichtig auf die Beine.
    Â»Alles klar, Lady?«
    Â»Danke, Schätzchen.« Suzanna errötet.
    Â»Ich heiße Mirko.« Er lächelt, Marlen grinst. Sie hat Marko oder Nino, der ab jetzt Mirko heißt, für den eigenen Bedarf abgeschrieben, so viel steht fest. Der Mann gehört Suzanna – oder keiner.
    Der Mann, der nichts davon weiß, wem er gehört, öffnet die Schiebetür und sagt in den Bus hinein: »Frau Fitz, Sie bekommen Besuch. Nicht erschrecken.«
    Â»Aber ich muss doch zum Ballettunterricht! Ich habe jetzt keine Zeit für Besuch!«
    Die Stimme aus dem Bus ist hoch und dünn, ein Glasfaden, den irgendein verrückter Glasfadenmusiker durch reines Atmen in Schwingungen versetzt.
    Â»Bitte einsteigen, Ladys«, sagt Mirko, »und nicht erschrecken. Es ist nur Frau Fitz.«
    Marlen zieht die Brauen hoch, Karlotta wedelt, »Zackzack, wir sind spät dran!«, ich gehe als Erste auf die geöffnete Schiebetür zu, ich schiele durch die Öffnung in den Bus.
    Die Frau, die Frau Fitz sein muss, trägt ein Nachthemd mit hellgelben Punkten, darunter eine rote Wollstrumpfhose, keine Schuhe. Ihre Haare sind zu einem dünnen Zopf geflochten, sie hält das Ende in der Hand und fächelt sich Wind ins runzlige Gesicht.
    Â»Hallo«, sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt. Das schlechteste Hallo meines Lebens.
    Frau Fitz hört mit dem Fächeln auf und starrt mich an. Dann entspannen sich ihre Züge.
    Â»Lisa! Wie schön, dass du auch mitmachst!«
    Bevor ich reagieren kann, schrumpft ihr Gesicht zu einem ängstlichen kleinen Fleck zusammen.
    Â»Du machst doch mit, nicht wahr?«, sagt sie.
    Ich drehe mich hilfesuchend zu Mirko um.
    Mitmachen?
    Wobei?
    Mirko formt seine Hände zu einem Trichter und flüstert mir etwas zu, das ich nie wieder vergessen werde. Ich werde nie vergessen, womit unser geordneter Rückzug ins Hinterland dieser Gesellschaft begonnen hat. Er hat begonnen mit dem Satz:
    Â»Tanz der Küken in ihren Eierschalen.«
    Ich drehe mich wieder zu Frau Fitz um und sage: »Na klar mach ich mit. Tanz der Küken in ihren Eierschalen. Großartige Sache. Will ich nicht verpassen.«
    Sie wedelt begeistert mit dem Zopfende und lässt ihre Schultern sehr schnell vor- und wieder

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