Der Zwerg reinigt den Kittel
immer.
Verwandlungskünstler.
Magier.
Daran erkennst du den professionellen Altenpfleger: Dass er diesen Zaubertrick draufhat, mit dem die Kollegen aus der Unterhaltungsbranche immer Furore machen, wenn sie ein Kaninchen in einen Blumenstrauà verwandeln oder einen Blumenstrauà in einen Regenschirm. Alter Trick, billiger Trick, aber es ist wie mit der Stirnfransennummer vom kleinen Paul oder Raoul: Es klappt.
Du liegst da, splitternackt, sie waschen dich von oben bis unten, jeder macht es ein bisschen anders, jeder hat so seine Art, und spätestens, wenn sie an deinen Titten herumfummeln, passiert es: Abrakadabra â du bist etwas anders.
Bei Schwester Cornelia bist du eine alte Kommode, die mit ein paar routinierten Handgriffen ausgewischt wird. Beim Hilfspfleger bist du ein altes Auto, das durch die WaschstraÃe gefahren wird. Bei Schwester Olga bist du ein kleines Kind mit Hutchinson-Gilford-Syndrom, sie wäscht dich mit der Zärtlichkeit einer Frau, die gerne Kinder hätte, auch wenn sie schon mit fünf alt und hässlich sind.
Frag nicht, was du bei Schwester Terese bist, du willst das gar nicht wissen, glaub mir. Aber auch bei ihr bist du kein nackter alter Mensch, sondern etwas anderes.
Magier der Scham: Abrakadabra â und schon ist sie weg.
Und jetzt dieser Bengel! Den Stirnfransentrick hat er drauf, den Zaubertrick nicht.
Nummer 11 streicht mir mit dem Waschlappen über die rechte Aubergine. Er setzt oben an und fährt gerade nach unten bis zur Warze, das klappt ganz gut, die Aubergine wackelt ein bisschen, dann beruhigt sie sich wieder und hängt mit leichtem Rechtsdrall nach unten.
Ich betrachte die Risse in der Decke.
Der Waschlappen berührt mich knapp unter der rechten Aubergine und saugt sich dort fest. Er überlegt. Denkt nach. Hat einen Auftrag, den er erfüllen will, aber er weià nicht wie.
Wenn du die Titten einer alten Frau saubermachen musst, dann ist die Unterseite immer ein Problem. Im Stehen, im Sitzen, im Liegen â immer ein Problem, weil du kommst da nicht ran. Nicht so leicht.
Die Lampe ist kugelförmig.
Der Lappen denkt nach.
Milchglas, dreckig.
Der Lappen denkt nach.
Was Gott wohl mit den Hamsterseelen anstellt, wenn sie endlich bei ihm angekommen sind nach ihrer langen beschwerlichen Himmelfahrt? Wahrscheinlich wirft er sie einfach weg. Auch eine Art von Erlösung, aber nicht unbedingt das, was man sich als kleine Seele so vorgestellt hat beim Nachobenschweben, da kann man auch gleich an der nächstbesten verdreckten Lampe kleben bleiben, nicht wahr?
»Anheben!«
Schwester Cornelias Stimme klingt ein bisschen atemlos. Ich werfe einen Blick auf das Geschehen an der Windelfront, sieht eigentlich ganz gut aus. Premium Comfort liegt zu zwei Dritteln frei, Schwester Cornelia kämpft schnaufend um das letzte Drittel und schleudert wütende Blicke auf Nummer 11 , Frau Fitz schwenkt.
»Sie müssen das anheben, Herrgott noch mal!«
Frau Fitz hebt ein Bein. Schlenker, schwenk.
»Nicht Sie! « Schwester Cornelia greift nach dem Bein und drückt es nach unten. Das Bein lässt es geschehen, die Hüften machen weiter.
»Noch mal, noch mal«, singt Frau Fitz.
Nummer 11 streicht sich über die Stirnfransen. Das Gesicht darunter ist kein Gesicht mehr, es ist ein groÃes schweiÃverklebtes Fragezeichen.
Anheben?
Ist doch ganz einfach, Junge.
Könnte ich jetzt sagen. Total einfach, das mit dem Anheben, man muss nur wissen, wieâs geht, und ich könnte dir das jetzt natürlich zeigen. Könnte ich, keine Frage. AuÃerdem könnte ich das einfach selbst machen, auch keine Frage, aber ich kann nicht. Ich bin hier nämlich schon seit Tagen eine hilflose alte Frau, die das Zittern hat.
Seniles Zittern. Meine Spezialität. Wir haben hier alle eine Spezialität, musst du wissen, alle vier, das haben wir so vereinbart, bei der Stabsbesprechung. Karlotta hat eine Liste mit den beliebtesten Erkrankungen bei Frauen ab sechzig rumgegeben, und jede hat sich etwas ausgesucht.
Karlotta: Arthrose.
Suzanna: Veneninsuffizienz.
Ich: Tremor.
Marlens Spezialität lässt sich nicht so einfach auf den Punkt bringen, die ist sehr komplex, und sie steht auch nicht auf der Liste, aber wir müssen da jetzt nicht ins Detail gehen. Sagen wir einfach: Marlen hat keine Spezialität, Marlen ist die Spezialität.
Auf jeden Fall bin ich sehr froh, dass ich mich bei der Stabsbesprechung für
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