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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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klar.
    Plemplem.
    War da zu lesen, in Marlens Augen.
    Total plemplem, die Alte.
    Wissen Sie, wo wir hier sind?
    Wissen Sie, dass es eine Geschichte war?
    Sie sind plemplem, Frau Block, wissen Sie das?
    Â»Um Himmels willen«, sage ich, » natürlich weiß ich, wo wir hier sind! Im Gefängnis! Gesprächsraum, kaputte Lüftung! Und natürlich weiß ich, dass die Patsch-Patsch-Nummer eine Geschichte war! Billiger Slapstick! Schlechter Boulevard! Wer glaubt denn sowas? Ich nicht! Ich bin ja nicht verrückt!«
    Â»Natürlich nicht«, sagt Doktor Klupp schnell.
    Klingt nicht gut, wie er das sagt. Klingt wie das Gegenteil.
    Â»Das habe ich mit meinen Fragen auch nicht andeuten wollen«, sagt er.
    Klingt wie das Gegenteil.
    Â»Ich wollte mit meinen Fragen nur sichergehen, dass Sie im Zuge Ihrer Biographiearbeit nicht den Boden der Realität unter den Füßen verloren haben. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität sind fließend, vor allem, wenn es um Erinnerungen geht, das ist ganz normal, Frau Block, völlig normal.«
    Leute sagen etwas, und es klingt wie das Gegenteil.
    Du steckst im Stau, und der Taxifahrer sagt: Das dauert nicht lange. Du sitzt im sturmgebeutelten Flugzeug, und die Stewardess sagt: Kein Grund zur Panik. Im Krankenhaus sagt der Arzt: Das wird schon wieder. Später sitzt der Pfarrer an deinem Bett und sagt: Alles wird gut.
    Ich sage: »Wenn jemand nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterscheiden kann, dann nennt man das normalerweise verrückt.«
    Er sagt: »Die Grenzen zwischen normal und nicht normal sind ebenfalls fließend, Frau Block. So gesehen«, er macht eine kurze Pause und bemüht sich um ein ironisches Lächeln, was total danebengeht und nach einer halbseitigen Gesichtslähmung aussieht, »so gesehen sind wir alle ein bisschen verrückt, nicht wahr?«
    Ein bisschen?
    Na klar!
    Sind wir alle, keine Frage, aber hallo! Kann ja nicht schaden so ein bisschen Verrücktsein, ist man ja gerne, hin und wieder, ab und an. Fließende Grenzen und so, man will ja kein Langweiler sein.
    Mach doch mal was Verrücktes!, sagen die Leute zu dir, und du denkst, dass es dazugehört, ein bisschen verrückt zu sein. Deswegen ziehst du dir nach Büroschluss irgendwelche verrückten Klamotten an und gehst auf irgendwelche verrückten Partys. Deswegen schleppst du dich einmal pro Woche zu deinem Therapeuten und breitest dein bisschen Verrücktheit vor ihm aus. Du hast ein verrücktes Hobby oder wenigstens eine verrückte Frisur, hin und wieder sagst du verrückte Sachen. In deine Kontaktanzeige schreibst du: Attraktiver Single, warmherzig, spontan, manchmal ein bisschen verrückt, sucht …
    Freizeitirre.
    Hobbyspinner.
    Haben keine Ahnung, die Stümper. Waren noch nie in einer Klapse, und ins Altenheim kommen sie erst noch. Dort sind die Profis zu Hause. Frau Fitz, Frau Wimmer, Herr Knabe und wie sie alle heißen, die verrückten Alten in den Heimen dieser Welt – lauter Profis. Der Profi tanzt jeden Morgen in Windelhosen zum Donauwalzer. Der Profi schlurft jede Nacht mit einer Taschenlampe durchs Haus. Er leuchtet in jede Ecke, wenn du ihn fragst, wen er sucht, nennt er seinen eigenen Namen. Der Profi beißt die Schwestern blutig, reißt sich die Haare büschelweise aus, isst verdorbene Lebensmittel. Er malt Bilder an die Wand, mit den eigenen Exkrementen.
    Realität oder Fiktion?
    Dem Profi scheißegal!
    Er redet mit den Leuten im Fernsehen oder mit den Leuten auf alten Fotos. Am liebsten redet er mit den Toten.
    Wenn du ein Profi bist, dann sterben sie nie, deine Freunde und Verwandten, obwohl sie längst tot sind, und du findest das kein bisschen verrückt, weil da nämlich gar nichts fließt an den Grenzen zwischen normal und nicht normal. Gibt nämlich keine Grenzen mehr. Alles geflutet mit Wahnsinn, ein grenzenloses rotes Meer, selbst Moses kann es nicht teilen.
    Und jetzt ein guter Tipp für alle attraktiven Singles, die manchmal ein bisschen verrückt sind und auf ihre Kontaktanzeige noch keine Antwort bekommen haben:
    Versuch’s doch mal mit: Attraktiver Single, manchmal ein bisschen schwanger.
    Versuch’s mit: Attraktiver Single, manchmal ein bisschen tot.
    Und jetzt zum Mitschreiben:
    Verrückt. Schwanger. Tot. Entweder du bist es oder du bist es nicht.
    Bist du verrückt, Almut Block?
    Wer spricht?
    Frag nicht, antworte. Bist du verrückt?
    Nein.

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