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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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er mit der Ganzkörperwäsche begonnen hat. Er streicht sich die Fransen nicht aus dem Gesicht, sondern tiefer hinein, tief über die Augen.
    Vielleicht ein Tick.
    Vielleicht ein Trick. Einer, der früher immer geklappt hat, da war Nummer 11 noch klein und hatte einen schönen Namen, Raoul oder Paul, und seine Mami hat ihn übers Wochenende immer zur Omi gegeben. »Sei lieb mit der Omi«, hat die Mami immer gesagt, »sie ist viel allein und freut sich sehr über deinen Besuch.« Und der kleine Raoul oder Paul war immer lieb mit der Omi, aber die Omi war nicht lieb mit Raoul oder Paul.
    Märchen.
    Vorm Einschlafen.
    Um dein Bett tanzt das Rumpelstilzchen und kreischt wirres Zeug, an der Decke klebt die Pechmarie und tropft dich voll, Schneewittchen liegt röchelnd im Eck, es erstickt gerade, und dann ist da natürlich noch der große böse Wolf, das ist deine Großmutter. Ihre Finger sind Krallen, damit blättert sie die Seiten um. Das Märchenbuch ist alt und riecht komisch, vielleicht ist es auch die Großmutter, die so komisch riecht.
    Aus dem Kindergarten weißt du, dass es sehr viele schöne Bücher für kleine Jungs wie dich gibt. Bücher mit bunten Bildern und duftenden Titeln.
    Der dicke fette Pfannkuchen.
    Keksi Knut trifft den dicken fetten Pfannkuchen.
    Plätzchenpaula und Leckerliese treffen Keksi Knut.
    Die Tante im Kindergarten ist eine moderne Prinzessin, sie hat freches kurzes Haar und lacht viel, beim Vorlesen purzeln goldene Glöckchen aus ihrem Mund. Jetzt liegst du da, es ist Sonntagabend, und die Totenglocke im Rachen deiner Großmutter läutet.
    Dingdong. Deine Stirnfransen sind nass.
    Dingdong. Dein Pyjama ist durchgeschwitzt. Unter den Achseln, im Schritt, du stinkst nach Angst, Großmutter mag das.
    Damit ich dich besser riechen kann.
    Ihre Augen hinter der Lesebrille sind zwei frisch ausgehobene Gräber.
    Damit ich dich besser sehen kann.
    Ihre Krallen.
    Nehmen.
    Ihr Wolfsmaul.
    Fressen.
    Kurz vorm Fressen hat sich der kleine Raoul oder Paul immer versteckt. Und wo? Genau. Unter seinen Stirnfransen.
    Ein schöner Trick, Nummer 11 hat sich damit über viele, viele Wochenenden seines Kinderlebens gerettet, und jetzt ist es wieder so weit.
    Großmutter, warum hast du so schlaffe Brüste?
    Großmutter, warum hast du so labbrige Nippel?
    Und was hast du da zwischen den Beinen, Großmutter?
    Ich öffne meine Beine. Ganz langsam, ganz nebenbei, ich mache das übrigens aus keinem besonderen Grund, ich mache das ganz grundlos, einfach nur so, zum Spaß, Nummer 11 merkt nichts. Er ballt seine Waschlappenhand zur Faust und drückt die letzten Tropfen heraus, sie fallen in die Schüssel. Mein linkes Bein bewegt sich nach links, wo nichts ist. Nicht viel. Die Bettkante, im Hintergrund Marlen. Sie liegt da wie ich, Arme hinter dem Kopf verschränkt, nackt, den Kopf zu mir gedreht, offene Augen. Man kann das übrigens nicht sehen, dass Marlen nackt ist, weil sie die Decke bis zum Kinn hochgezogen hat, aber ich weiß, dass sie es ist. Hexen schlafen immer nackt, eine Ratte im Schoß, zum Zeitvertreib. Das sagt zumindest die Legende.
    Marlen zwinkert mir zu.
    Ich zwinkere zurück.
    Nummer 11 öffnet die Hand und ballt sie wieder zur Faust, keine Tropfen, das war’s. Der Lappen ist bereit, die Hand nicht. Sie schwebt über der Schüssel wie eine arme Seele, die nicht weiß, wohin, mein rechtes Bein bewegt sich nach rechts.
    Sieh da, da ist etwas.
    Schau an, nicht nichts.
    Mein nackter Oberschenkel berührt die Arschbacke von Nummer 11 , die Reaktion ist bemerkenswert und genau so, wie ich mir das vorgestellt habe.
    Stromschlag.
    Elektroschock.
    Blitzartiges Zurückzucken der Arschbacke, die Hand mit dem Lappen erzittert, die Hand ohne Lappen vibriert, durch den ganzen Körper von Nummer 11 geht ein kurzer schockartiger Schauder, geschätzte 230 Volt, wir erleben gerade die Wunder der Elektrizität.
    Â»Sitzen Sie bequem?«, sage ich.
    Nummer 11 nickt mechanisch. Er erholt sich gerade von den Wundern der Elektrizität und ist nicht ganz bei der Sache, die Hand mit dem Lappen zittert zart.
    Â»Haben Sie eine Freundin?«, sage ich.
    Nummer 11 erstarrt. Null Vibration, null Volt. Es ist, als hätte irgendjemand den Stecker aus der Dose gezogen, zum Beispiel Gott.
    Klar, ich meine, komische Frage, in der Situation, nicht wahr? Und ich weiß auch nicht so genau, warum ich das gerade sage,

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