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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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schlagartig meinen Arm in Bewegung und wedle mit einer Tremorfrequenz von zirka vier Hertz in der Luft herum, das ist der sogenannte grobschlägige Tremor, Nummer 11 geht in Deckung, zu spät.
    Patsch!
    Â»Aua!«
    Nummer 11 hält sich die Backe. Die obere, nicht die untere.
    Â»Festhalten!«, donnert Schwester Cornelia, »sofort festhalten!«
    Frau Fitz bückt sich aufs Kommando und greift nach der Netzhose, Nummer 11 schnappt sich meinen Arm.
    Â»Loslassen!«, donnert es.
    Nummer 11 lässt meinen Arm los.
    Â»Nicht Sie! «
    Frau Fitz zieht die Netzhose mit einem Ruck bis zum Bauchnabel und lässt los. Der elastische Bund schließt sich mit einem triumphierenden Schnalzer, Premium Comfort sitzt wieder bombensicher. Ich erhöhe von vier auf sieben Hertz, das ist der mittelschlägige Tremor.
    Patsch!
    Â»Autsch!«
    Patsch!
    Â»Autsch!«
    Jetzt der zweite Arm, ich ziehe ihn hinter meinem Kopf hervor, dafür gibt es nicht den geringsten Grund, ich mache das einfach nur so, nur zum Spaß, meine widerlichen alten Affenpfoten schlagen auf Nummer 11 ein.
    Wange, patsch, Nase, patsch, Kinn, rechtes Ohr, linkes Ohr, keine Ahnung, wie viel Hertz ich gerade draufhabe, patsch …
    Â»Frau Block!«
    â€¦ patsch, patsch, mein Gott, macht das Spaß …
    Â»Frau Block!«
    Â»Ja?«
    Schade, dass er mich gerade jetzt unterbricht, aber so ist das im Leben: Immer wenn du dich halbwegs gut amüsierst, kommt irgendein Spielverderber und dreht den Spaßhahn zu.
    Die Sache mit der Schuld: Wenn er ausgerechnet jetzt darüber reden will, dann mache ich es wieder wie die alte Kropp auf Zimmer fünf: Dann garantiere ich für nichts.
    Â»Frau Block, das war gerade eine Phantasie, nicht wahr?«
    Ich greife nach der Zigarettenschachtel.
    Â»Eine Ihrer Gewaltphantasien, nicht wahr?«
    Ich ziehe eine Zigarette aus der Schachtel.
    Â»Sie haben den Zivildienstleistenden gar nicht geschlagen, aber Sie hätten es gerne getan, nicht wahr?«
    Â»Nicht wahr, nicht wahr«, äffe ich Doktor Klupp nach, und da ist sie wieder, die Stimme einer Fünfjährigen, sie wächst mir langsam ans Herz, die Kleine. »Was die Leute immer haben mit der Wahrheit! Gehen ins Kino, gehen ins Theater, hängen den halben Tag vorm Computer ab und treiben sich in irgendwelchen virtuellen Welten herum, und dann reden sie von der Wahrheit!«
    Und die Wahrheit ist: Er hat recht.
    Na und?
    Kleine Mädchen sind so. Sie essen Sandkuchen, foltern ihre Haustiere und erfinden Geschichten. Sie haben Phantasie.
    Â»Hat Ihnen meine Geschichte nicht gefallen?«, sage ich und zünde die Zigarette an. »War doch lustig, nicht wahr? «
    Doktor Klupp sieht mich ernst an. Es gibt Leute, die mögen keinen Spaß, weil es sie daran erinnert, wie oft sie keinen haben. Ich inhaliere tief, Doktor Klupp wechselt den Blick von ernst zu prüfend. Keine Ahnung, was er da gerade prüft.
    Â»Sie wissen also, dass es eine Geschichte war«, sagt er.
    Â»Nein«, sage ich und blase Rauch aus.
    Â»Nein?« Sein Blick wechselt von prüfend zu verblüfft.
    Â»Ist mir nicht aufgefallen, ehrlich. Aber jetzt, wo Sie es sagen, Herr Doktor.«
    Ironie. Es gibt Leute, die das nicht mögen. Wechsel von verblüfft zu misstrauisch.
    Â»Und was ich Sie die längste Zeit schon fragen wollte, Herr Doktor: Wo sind wir hier eigentlich? Ich meine, das könnte hier überall sein, nicht wahr? Ein Raum ohne Fenster, ein Tisch, zwei Stühle, das kommt ziemlich oft vor, wenn Sie mich fragen. Vielleicht ist das hier der Gesprächsraum in einem Gefängnis, vielleicht aber auch der Untersuchungsraum in einer Irrenanstalt. Oder wir sind hier in der R ESIDENZ , im Raucherzimmer. Das war nämlich auch nur ein fensterloses Kellerloch mit einem Tisch und zwei Stühlen. Die Lüftung war kaputt, so wie hier.«
    Doktor Klupp wechselt den Blick.
    Ich kann das nicht sofort zuordnen, was das gerade für ein Blick ist, aber er ist sehr eindringlich.
    Â»Wissen Sie denn, wo wir hier sind, Frau Block?«, sagt er.
    Ich starre ihn an.
    Meint er es ernst?
    Er meint es ernst.
    Sein Blick ist wie der Blick von Marlen damals, an unserem ersten Morgen in der R ESIDENZ . Wir sind aufgewacht, beim ersten Crescendo, und dann ist es losgegangen mit Frau Fitz und ihrer Tanzeinlage. Zuerst haben wir nicht so genau gewusst, was wir davon halten sollen, dann hat Marlen diesen Blick bekommen, und alles war

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