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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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Kein bisschen.
    Dann vielleicht sehr? Vielleicht total? Wie Frau Fitz, und du weißt es nur nicht, wie Frau Fitz?
    Keine Ahnung. Frag einen Verrückten, ob er verrückt ist.
    Â»Frau Block!«
    Frag einen Toten, ob er tot ist.
    Â»Frau Block!«
    Â»Ja?«
    Â»Die Zigarette, Frau Block. Sie verbrennen sich gleich.«
    Doktor Klupp zeigt auf die Zigarette in meiner Hand, ich sehe hin, der Stummel glüht rötlich zwischen meinen Fingern. Ich verbrenne nicht gleich, ich verbrenne gerade, schon komisch: Ich fühle nichts.
    Fleisch, Haar, Holz, Stoff, alles brennt, Madonna singt, die Kopfhörer schmelzen. Urlaub 1983 steht hinten auf dem Foto, es war unser letzter, ich fühle nichts.
    Â»Autsch!« Ich lasse die Zigarette fallen und blase auf meine versengten Finger.
    Â»Alles in Ordnung, Frau Block?« Doktor Klupps Stimme klingt besorgt.
    Â»Jaja«, sage ich und blase, »halb so schlimm.«
    Kein Grund zur Panik.
    Alles wird gut.

6
    Feinschlägiger Intentionstremor, um die dreizehn Hertz. Prinzip Libellenflügel, Prinzip Vibrator. Erschwert zielgerichtete Handlungen aller Art, macht sie aber nicht unmöglich. Kommt immer zum Einsatz, wenn ich keine Lust habe, mir bei einer zielgerichteten Handlung helfen zu lassen, weil es keine Pflegeminuten einbringt. Rauchen zum Beispiel, das werde ich gleich tun. Oder die Tür zuziehen, das tue ich gerade.
    Ich ziehe mit feinschlägigem Zittern die Zimmertür hinter mir zu. Das Letzte, was ich sehe, ist Marlen, die sich von Raoul oder Paul aus dem Bett helfen lässt. Ihre nackten Arme umschlingen seinen schmalen Oberkörper, das Rot ihrer Nägel taucht in sein verschwitztes weißes T-Shirt wie Blut in Milch.
    Das ist das Letzte, was ich sehe.
    Das Letzte, was ich höre, ist Marlen, die zu Raoul oder Paul sagt, dass er ab jetzt mit seinem Leben spielt. Dass sein Leben ab jetzt so gut wie verwirkt ist, wenn er es auch nur ein einziges Mal wagt. Was, das sagt sie nicht.
    Ich schließe die Tür.
    Sie wird ihn fertigmachen.
    Irgendwo weint eine Mutter Blut statt Tränen.
    Knack. 07 : 29 . Jaja, ich weiß: bin spät dran heute.
    Das Miststück am Ende des Gangs knackt mahnend. Um diese Zeit habe ich normalerweise schon die ganze Strecke hinter mir. Von Zimmer eins bis Zimmer fünf sind es knapp dreißig Meter. Dreißig Meter glatter PVC -Boden auf einem schlecht beleuchteten Gang: Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was das für eine gebrechliche alte Frau bedeutet, aber ich befürchte, Sie haben keine Ahnung, also lassen wir das.
    Auf jeden Fall bin ich um 07 : 29 normalerweise schon längst bei Zimmer fünf angekommen und habe an die Tür geklopft. Ich habe das Codewort gesagt und bin durch die von innen geöffnete Tür gegangen. Jetzt sitze ich normalerweise schon seit ein paar Minuten auf einem Stapel alter Zeitungen und inhaliere tief. Die erste Zigarette des Tages, die erste seit der letzten, ich rauche sie immer so gegen 03 : 30 , nach der nächtlichen Thunfischaktion, am geöffneten Fenster von Zimmer Nummer eins, aus dem ich mich lebensgefährlich weit hinausbeuge wie Frau Holle kurz vorm Suizid.
    Brandmelder.
    Sie sind überall. Wie die Kalender und die Uhren, also glaub nur nicht, dass du hier irgendwo in Ruhe rauchen kannst. Glaub nur nicht, dass du hier irgendwo in Ruhe Feuer legen kannst. Außer im Raucherzimmer, klar, aber das ist fünf Stockwerke tiefer, ein Kellerloch. Die Tür ist verschlossen, den Schlüssel hat Schwester Terese, du musst sie darum bitten.
    Schwester Terese um etwas bitten: Das solltest du besser lassen.
    Das Raucherzimmer fällt also flach, bleibt nur noch Zimmer Nummer fünf. Brandmelder kaputt, und das seit Jahren. Nicht durchgehend, aber immer wieder, alle paar Tage wieder für ein paar Wochen, der Elektriker lässt sich Zeit, und wenn er dann endlich da ist, sagt er jedes Mal: »Vielleicht ein Produktfehler am Endgerät, vielleicht Sabotage, wer weiß.«
    Wer weiß.
    Auf jeden Fall rauche ich seit meinem zweiten Tag in der R ESIDENZ jeden Morgen auf Zimmer Nummer fünf drei Zigaretten, heute werden es nur zwei sein, wenn überhaupt.
    Frühstück ist um knack 08 : 00 . Wer bis knack 07 : 55 nicht auf seinem Platz im Speisesaal sitzt, bekommt es mit Schwester Terese zu tun, jetzt aber nichts wie los.
    Oder doch nicht.
    Ich überlege.
    Dreißig Meter, der Gang ist leer. Keiner da, keiner sieht mich, ich könnte jetzt

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