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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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einfach ganz normal gehen. Wenn ich ganz normal gehe, brauche ich nicht länger als fünfzehn Sekunden und erhöhe damit die Zigarettenration von zwei auf drei. Ein guter Plan, und wie jeder gute Plan hat er einen Haken. Der Haken heißt Karlotta.
    Â»Normal gehen ist verboten«, hat sie gesagt bei der Stabsbesprechung, »schließlich sind wir vier gebrechliche alte Frauen. Die Simulation muss lückenlos sein, absolut lückenlos. Egal, ob uns jemand sieht oder nicht, egal, ob wir unter Leuten sind oder allein, wir dürfen uns keine Blöße geben. Motto: Trau keinem, auch wenn keiner da ist.«
    Ich überlege, was schlimmer ist: Nikotinunterversorgung oder dabei erwischt werden, wie ich jedem traue, der gar nicht da ist. Erwischt von Karlotta, die vielleicht gleich mit ihrem Rollator aus Zimmer zwei herausstürmt wie Spartakus mit seinem Kampfwagen.
    Ich schlurfe los.
    Für die ersten fünf Meter von Zimmer eins zu Zimmer zwei brauche ich die erste Ewigkeit. Meine Schritte sind winzig und schleppend, eigentlich sind es gar keine Schritte, weil ich die Füße kaum hebe beim Gehen. Ich schleife sie über den PVC -Boden wie zwei nasse Säcke, gefüllt mit ertränkten Katzenbabys. Meine rechte Hand umklammert den Stock, mein linker Arm hängt an mir herunter wie der tote Ast, an den sich die Katzenbabys geklammert hätten, wenn sie nicht in dem Sack eingesperrt gewesen wären.
    Mein Rücken: ein osteoporotischer Buckel.
    Mein Kopf: ein Korken im Flaschenhals.
    Karlotta behauptet, dass ich immer schamlos übertreibe mit meiner Version von einer gebrechlichen alten Frau. Sie behauptet, dass ich gar nicht aussehe wie eine gebrechliche alte Frau, sondern wie Quasimodo, Glöckner in Rente.
    Mag sein.
    Mir egal.
    Dezenz ist Schwäche.
    Die Gummikappe am Stockende saugt sich bei jedem Aufsetzen kurz am Boden fest, dann löst sie sich wieder mit diesem unschönen Geräusch, das mich immer an ein Schmatzen erinnert, nur ohne a.
    Schmtz, schlurf, schmtz, schlurf.
    Kirschblüte und Magnolie. Ich bleibe stehen. Der Lufterfrischer klemmt neben Zimmer zwei in einer Halterung, ich richte mich ein kleines Stück auf und atme tief durch. Alle paar Meter Pause machen und tief durchatmen, so macht man das als gebrechliche alte Frau. Auf dem Lufterfrischer steht: Frühlingserwachen. Auf dem Namensschild an der Tür steht:
    Suzanna Otte.
    Karlotta Könick.
    Neben Suzannas Name klebt die Zeichnung von einem Wal, neben Karlottas Name die Zeichnung von etwas, das wie ein Marder aussieht, vielleicht ist es auch ein Frettchen. Die Zeichnungen sind Kopien aus einem Buch mit Malvorlagen für Kinder im Vorschulalter. Großformat, zweihundert Seiten. Ein richtiger Wälzer wenn man bedenkt, wie klein die meisten Leute im Vorschulalter noch sind. Wenn du mit fünf anfängst, das Zeug bunt auszumalen, kannst du nach der letzten Seite direkt ins Gymnasium einsteigen.
    Â»Bitte blättern Sie das in Ruhe durch«, hat Schwester Olga zu uns gesagt, am ersten Tag, und dass sich jede von uns ein Tier aussuchen soll, mit dem sie sich identifizieren kann.
    Â»Türschilder«, hat sie gesagt und matt gelächelt. »Sieht einfach netter aus.«
    Karlotta hat den Wälzer geöffnet und zielsicher auf einen Tiger gezeigt, der gerade die Zähne fletscht. Neben dem Tiger war ein roter Punkt.
    Â»Die Tiere mit dem roten Punkt«, hat Schwester Olga gesagt, »die können Sie nicht mehr nehmen. Die sind schon vergeben.«
    Na ja, da war dann nicht mehr viel da zum Identifizieren. Also rein qualitativ betrachtet.
    Der Löwe: vergeben.
    Der Adler: vergeben.
    Delphin, Pandabär, Pony, alles vergeben, sogar die Kuh war schon weg, und irgendjemand hat sich allen Ernstes mit einem Karpfen identifiziert, aber das war wahrscheinlich auch nur aus Not und gar keine schlechte Wahl verglichen mit dem, was sonst noch so übrig war.
    Esel.
    Ratte.
    Hyäne.
    Die Schlange war auch noch frei, und Marlen hat zugeschlagen. Karlotta wollte unbedingt ein Raubtier, natürlich alle vergeben, wahrscheinlich alle an männliche Heimbewohner. Als Mann identifizierst du dich ganz gerne mit einem Tiger oder einem Leoparden, auch wenn du halbblind bist und im Rollstuhl sitzt. Dann ist Karlotta auf dieses komische frettchenartige Vieh gestoßen und hat sich damit identifiziert. Ist ja schließlich auch ein Raubtier, so ein Frettchen, hat sie gesagt.
    Mir war egal, womit ich

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