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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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meine erste Begegnung mit dem Hilfspfleger. Meine erste Erfahrung damit, wie es ist, ein altes Auto zu sein.
    Die Welt ist kein besonders magischer Ort, aber wenn du kurz davor bist, sie wieder zu verlassen, und du gehst für die letzten paar Jahre in ein Altenheim, dann kommst du aus den wundersamen Verwandlungen gar nicht mehr heraus.
    Grashüpfer, Regenwurm, Auto.
    Drei Millimeter. Verdammt kurz, wenn Sie mich fragen. Wollen Sie wissen, warum?
    Â»Ã„h«, sagt Doktor Klupp und rückt seine Brille zurecht.
    Seit ich ihn dabei erwischt habe, dass er mich für plemplem hält, ist er nicht mehr ganz bei der Sache. Ich glaube, er denkt darüber nach, wie er mein Vertrauen zurückgewinnen kann, damit ich ihm endlich sage, wovon ich nichts weiß, weil ich mich nicht daran erinnern kann.
    Die Sache mit der Schuld: interessant.
    Die assoziative Verknüpfung von Schuld, Erlösung und Schlaf: sehr interessant.
    Wollen Sie darüber sprechen?
    Â»Ã„h«, sage ich, »ist immer eine gute Antwort, aber manchmal nicht gut genug. Also: Wollen Sie oder wollen Sie nicht wissen, warum der Rasen vor der R ESIDENZ nur drei Millimeter hoch ist?«
    Â»Ja«, sagt er und fummelt an seiner Brille. »Spannend.«
    Lügner.
    Â»Na gut, wenn Sie wollen«, sage ich. »Dann sind wir jetzt sportlich und springen kurz zurück zu meinem zweiten Morgen in der R ESIDENZ .«
    Â»In Ordnung«, sagt er gequält.
    Sport, Zeitsprünge. Nicht jeder mag das.
    Â»Mögen Sie Autos?«, sage ich zum Hilfspfleger. Auf seinem Kittel ist ein Namensschild befestigt: R. Rudolph.
    R. Rudolph fährt mich seit vier Pflegeminuten schweigend durch die Waschstraße, in der Mitte war es ein bisschen unangenehm, aber nur wegen der Latexhandschuhe, sonst nicht. Ich bin nur ein altes Auto, das in der Mitte leck ist, also was soll’s.
    Â»Ja«, sagt er. »Wieso?«
    Â»Nur so«, sage ich.
    Schon komisch: Altenpfleger sind Magier, und sie wissen es nicht. Sie sind begnadet und wissen es nicht.
    Zwei Pflegeminuten später stehen wir am Fenster, unten im Garten knattert der Rasenmäher, R. Rudolph verstaut meine Hupen im BH . Wir machen das besser im Stehen, hat er gesagt, weil die Schwerkraft dann mithilft. Er schnallt mir den BH knapp unter den Brustwarzen um den Bauch, ich zeige mit mittelschlägigem Zittern aus dem Fenster und sage, dass sich der Rasen wirklich sehen lassen kann. Wirklich sehr gepflegt, der Rasen, sage ich.
    Konversation. Immer einen Versuch wert.
    R. Rudolph schiebt den BH wie einen Hula-Hoop-Reifen um meinen Bauch, bis die Behälter für die Hupen vorne liegen.
    Er sagt: »Drei Millimeter.«
    Â»Wie meinen?«, sage ich.
    Â»Der Rasen«, sagt er und reißt den BH mit einem Ruck nach oben, »exakt drei Millimeter. Der Heimleiter will es so.«
    Meine Hupen rutschen in den BH , aber nicht so gerne, hier und da hängt noch etwas heraus.
    Â»Interessant«, sage ich. »Und warum?«
    Er schüttelt den BH . »Wissen Sie, wie hoch der Rasen in einer normalen, gut gepflegten Grünanlage ist?«
    Â»Nein.«
    Er schüttelt. »Drei bis sechs Zentimeter.«
    Der Rasen bei einem WM -Spiel: achtundzwanzig Millimeter.
    Der Tennisrasen in Wimbledon: acht Millimeter.
    Golfrasen: vier Millimeter.
    Â»Golf?«, sage ich. »Wimbledon? Was genau meinen Sie mit Wimbledon, Herr Rudolph?«
    Â»Sagen Sie Doppelrudi zu mir. Das machen alle so.«
    Â»Doppelrudi?«
    Â»Rudolf Rudolph. Mein voller Name. Deswegen Doppelrudi.«
    Â» Kein Witz?«, sage ich.
    Â»Weiß nicht. Fragen Sie meine Mutter.«
    Dann hat mir Doppelrudi erklärt, wie das so ist mit der Grünanlage der R ESIDENZ . Seitdem weiß ich, dass der Heimleiter eine Firma engagiert hat, die jeden Montag, Mittwoch und Freitag den Mann im grünen Overall schickt. Der Mann im grünen Overall kommt und hindert den Rasen daran, höher als drei Millimeter zu werden. Vorbild: Wimbledon. Vorbild: Golf. Außerdem hindert der Mann die Hecke rund um den Rasen daran, in den Rasen zu wuchern. Am Ende harkt er den schmalen Kiesweg, der über den Rasen zum Käfig führt, und poliert das Betreten-verboten-Schild auf dem Rasen.
    Arschloch.
    Sagt Doppelrudi und meint den Heimleiter. Defekte Betten, billige Inkontinenzeinlagen, Zwirn statt Zahnseide, aber dreimal die Woche Gartenpflege vom Feinsten.
    Golf, sagt Doppelrudi und meint das Hobby vom Heimleiter. Wimbledon, sagt er und

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