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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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sitzen. Zwischen seniler Bettflucht und Radetzkymarsch sitzt die Gräfin auf einem Stapel alter Broschüren und raucht. Das macht sie seit hundert Jahren so, hat mir Schwester Cornelia erklärt, und dass kein lebender Mensch weiß, wie lange die Gräfin schon in der R ESIDENZ wohnt. Augusta von Lauenthal ist die Letzte ihres Geschlechts. Irgendwas Vornehmes, vor hundert Jahren verarmt, irgendwo steht ein Schloss, das ist der Stammsitz. Oder war, früher, vor hundert Jahren. Jetzt latschen Touristen durch und glotzen über Absperrungen auf kunstvoll gewebte Gobelins.
    Schafe glotzen auf Pullover aus reiner Schurwolle.
    Menschen glotzen auf Kunstwerke.
    Schon erstaunlich, dass unsereins zu so etwas fähig ist, denken sie.
    Wir sitzen am Fenster und rauchen, das Bett von Frau Kropp ist leer. Jemand hat die Bettwäsche mitgenommen und das Leintuch, nur den Matratzenschoner hat er dagelassen. Hundert Prozent Polyester, wasserdicht, schützt vor Verunreinigung durch Nässe, Öle oder Salben. Alle Betten in der R ESIDENZ haben so einen Matratzenschoner, in den Stoff sind Silberfäden eingearbeitet, das dient der Geruchsbindung, hat mir Schwester Cornelia erklärt, und ich habe ihr erklärt, dass ich so etwas nicht brauche. Dass ich meinen Urin ganz gut halten kann und nicht vorhabe, ins Bett zu nässen. »Früher oder später«, hat Schwester Cornelia gesagt und den Satz nicht beendet.
    Frau Kropps Nachttisch ist auch leer. Gestern war da noch eine Tube Parfenac-Fettsalbe gegen Ausschlag und eine Lesebrille. Und das Windlicht aus Terrakotta natürlich, handbemalt, das hat Doppelrudi der alten Kropp geschenkt, gegen dunkle Nächte.
    Das war alles gestern.
    Heute ist da eine leere Fläche und weiter unten der Kopf von Frau Wimmer, die vor dem Nachttisch kniet und in einem großen Müllsack wühlt.
    Â»Wo ist es nur, wo ist es nur«, jammert sie.
    Keine Ahnung, was die Wimmer da sucht. Soweit ich sehe, ist ihr gesamtes Hab und Gut sicher unter dem Bett verstaut. Die Kuckucksuhr zum Beispiel. Oder die pyramidenförmige Riesenduftkerze. Die Mini-Vogeltränke aus Steinholz, der Partybaum, der Wetterclown, der Serviettenneger.
    Wetterclown. Schon mal davon gehört?
    Partybaum. Schon mal gesehen?
    Der Clown ist aus blauem Kunstharz, bei Regen verfärbt sich die Nase lila. Den Partybaum habe ich noch nie gesehen, er steht originalverpackt unter Frau Wimmers Bett, aber wenn ich nach dem Bild auf der Verpackung gehe, dann ist das so ein ausklappbares baumförmiges Ding aus Metall. Du kannst es auf den Tisch stellen und Häppchen auf die Äste spießen, kleine Käsestücke zum Beispiel oder Oliven. Den Serviettenneger kannst du neben den Partybaum stellen, wenn du magst, dann bietet er deinen Gästen mit gesenktem Krauskopf Servietten an, die zwischen seinen ausgestreckten Armen klemmen.
    Es gibt Dinge auf dieser Welt, von denen hast du noch nie gehört, aber vielleicht hast du schon einmal davon geträumt.
    In einer finsteren Nacht.
    An einem dunklen Ort.
    Albträume.
    Wir sprechen hier von dem, was die Leute früher Nachtmahr genannt haben, irgendwann im Mittelalter. War schon damals nicht besonders angenehm so ein Nachtmahr, voll mit gefallenen Engeln und armen Sündern, denen der Teufel Blasinstrumente in den Hintern schiebt oder riesige Insekten. Hieronymus Bosch und so, kennt man ja. Der Mann hat zum Glück aufgehört mit dem Malen vor ein paar hundert Jahren, aber die Albträume sind trotzdem nicht besser geworden, eher schlimmer, weil da heutzutage solche Dinge vorkommen wie Wetterclowns oder Serviettenneger.
    Du hast immer gedacht, dass es diese Dinge nicht gibt. Nicht wirklich, nicht in echt. Du hast gedacht, dass sie nur in den schwarzen Verliesen deines Unbewussten existieren, die sich im Schlaf öffnen.
    Aber dann sitzt du eines Morgens im Zimmer eines Altenheims, und da sind sie. In echt. Unter dem Bett einer Frau, die sich mit einem Eichhörnchen identifiziert, das sind diese tapferen kleinen Waldbewohner, die alles sammeln und horten, was der Wald an Schrecklichem so hergibt: modrige Tannenzapfen, giftige Pilze, Partybäume.
    Frau Wimmer hat sich übrigens nicht selbst mit einem Eichhörnchen identifiziert, das war ihre Tochter. Vor einem Jahr ist die junge Wimmer mit der alten Wimmer in der R ESIDENZ aufgekreuzt, hat mir Schwester Cornelia erzählt, und das war schon ein Auftritt, aber hallo.
    Die alte Wimmer wollte

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