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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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meint den Urlaub, den sich der Heimleiter jedes Jahr Ende Juni nimmt, für zwei Wochen. Dann fliegt er nach London zum Grand-Slam-Turnier, und kein Mensch weiß, woher er das Geld hat. Außer Doppelrudi natürlich, weil der hat nachgerechnet.
    Für das Dameneinzelfinale im Centre Court bekommst du tausendfünfhundert Premium-Plus-Einwegwindeln.
    Für das Herreneinzelfinale im Centre Court bekommst du tausend Rollen gewachste Zahnseide.
    Wenn du dir alle Spiele vom ersten bis zum letzten anschaust, was der Heimleiter tut, dann bekommst du dafür fünfunddreißigtausend Windeln und zwanzigtausend Rollen Zahnseide.
    Â»Und die Fußball- WM ?«, sage ich. »Wie viele defekte Betten könnte man dafür reparieren lassen?«
    Â»Keine Ahnung«, sagt Doppelrudi, »da geht das Arschloch nicht hin. Fußball auf achtundzwanzig Millimetern Rasenhöhe, das ist was für Proleten.«
    Rollstuhlgymnastik.
    Kontaktspiele.
    Sitztanz.
    Findet alles im Käfig statt, wenn Sommer ist, also laut Informationsbroschüre, rein theoretisch. Praktisch findet da gar nichts statt, weil der Heimleiter das nicht so gerne sieht, wenn irgendwelche Krüppelgreise sich in der Seniorenbewegungsanlage bewegen. Ruiniert nämlich den Gesamteindruck der Grünanlage, und früher oder später wird er den Käfig abreißen lassen und einen Buchsbaum hinstellen, den der Mann im grünen Overall dann zur Kugel verkrüppelt oder zum Kegel. Aber noch steht er, der Käfig, und jeden ersten Sonntag im Monat schließt der Heimleiter die rote Tür im roten Zaun auf, mit einem Schlüssel, den er so wenig aus der Hand gibt wie Schwester Terese den Schlüssel zum Raucherzimmer oder irgendeinen anderen Schlüssel an ihrem Schlüsselbund.
    Den Schlüssel zum Medikamentenschrank.
    Den Schlüssel zu ihrem Herzen.
    Der Käfig ist immer verschlossen, außer am Tag der offenen Tür, den gibt es jeden ersten Sonntag im Monat. Der Heimleiter setzt ein paar von den Rollstuhlgreisen in den Käfig und lässt sie mit Bällen werfen. Das Betreten-verboten-Schild kommt weg, es wird gegrillt. Würstchen, Weißbrot, Kartoffelsalat. Irgendwelche Leute, die sich um die Zukunft ihrer Eltern Sorgen machen, bröseln Brot auf den Rasen. Sie lassen Mayonnaiseklumpen fallen oder angebissene Würstchen.
    Sie stehen.
    Auf dem Rasen.
    Mit ihren breiten Tretern oder ihren hochhackigen Frauenschuhen.
    Stilettoabsatz.
    Schon das Wort schmerzt, sagt Doppelrudi, und dass der Heimleiter an jedem ersten Sonntag im Monat leidet wie ein Schwein. Wenn die letzten Besucher weg sind, meistens so gegen acht, rücken drei Männer im grünen Overall an und bessern die Schäden aus.
    Transplantation.
    Wissen Sie eigentlich, was das kostet, so eine Transplantation, sagt Doppelrudi und hilft mir in die Bluse. Ganze Rasenstücke schneiden die Männer im grünen Overall heraus, weil irgendein Besucher, der seine Mutti oder seinen Papi in der R ESIDENZ verstauen will, den Rasen von drei auf null Millimeter plattgewalzt hat beim Stehen, einen Pappbecher mit Cola in der Hand.
    Fuchspisse.
    Sagt Doppelrudi, und ob mir eigentlich klar ist, was ein einziger verschütteter Pappbecher Cola für einen Dreimillimeterrasen bedeutet. Bedeutet nämlich Fuchspisse. Hat nämlich genau denselben Effekt wie die Fuchspisse, gegen die die Rasenwarte in Wimbledon jedes Jahr mehr oder weniger erfolglos ankämpfen. Wo ein Fuchs hinpisst oder ein Viertelliter Cola verschüttet wird, da wächst kein Halm mehr. Da ist nichts mehr zu retten, du kannst die Stelle nur noch herausschneiden wie einen Hautfleck mit Karzinom, und genau das machen die Männer im grünen Overall auch, nach jedem Tag der offenen Tür. Dann verschließen sie die Wunden im Rasen mit krebsfreien Rasenstücken, die sie stapelweise im Kleinlastwagen mitbringen.
    Doppelrudi zieht einen Kamm aus der Hosentasche und zupft mit seiner Latexhand ein paar graue Haare heraus. Eine ganze Menge Haare, um genau zu sein, ich starre auf den Kamm.
    Kann sein, er will mich damit frisieren.
    Kann sein, er wird es gleich tun. So oder so, womöglich beides, fest steht: Die grauen Haaren sind nicht von mir. Sie sind von irgendjemandem. Von irgendeiner Frau im ersten Stock zum Beispiel. Vielleicht ist sie dement oder hat Schuppen, und alles an ihrem Kopf rieselt weiß wie die Schuppen oder rot wie der Wahnsinn. Vielleicht sind die Haare auch von

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