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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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sie wollen und so bunt sie wollen. Marienkäfer sollen auf ihren Blättern rasten, Regenwürmer sollen träumend schlummern zu den Füßen ihrer Stengel, so würde es der Dichter formulieren, oder so ähnlich Fiepfiep!, und wenn da nicht bald jemand kommt und etwas unternimmt, von mir aus auch ein Dichter, dann wird sie ersticken, und dann haben wir hier echt ein Problem auf Zimmer Nummer fünf.
    Â»Gräfin«, sage ich zur Gräfin und sehe ihr eindringlich in die grau verschleierten Pupillen, »bitte lassen Sie das mit dem Blumengesteck und kaufen Sie sich von dem Geld etwas Schönes. Ein paar Schlüsselanhänger mit Wimbledon-Championship-Logo zum Beispiel.«
    Fieeep!
    Die Gräfin sagt nichts.
    Röchelröchel.
    Stille.
    Die Gräfin hebt eine Krötenhand und legt sie auf das Fensterbrett. Sie stützt sich ab und hebt ihren langgezogenen Hintern. Nur ein paar Zentimeter, Asche fällt auf das Geschirrtuch. Sie nimmt mit der freien Hand die oberste Broschüre vom Stapel, sie lässt ihren Hintern wieder sinken, Rauch quillt aus ihrer Nase.
    Â»Inschrift«, knarzt sie. »Das Mindeste.«
    Ich fass es nicht.
    Das darf ja wohl nicht wahr sein.
    Ohnmächtig. Oder erstickt. Noch dazu in einem fremden Müllsack, ich sehe nicht hin, ich starre auf die Broschüre, die ganze Überzeugungsarbeit umsonst, sie hat mir Bomkes Urnentexte schon einmal vorgeknarzt vor ein paar Tagen, und ich habe gesagt, dass die Texte schon schön sind, aber ziemlich teuer, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie nicht für die Ewigkeit geschrieben sind, sondern für die Fische.
    Ignorieren.
    Das wird das Beste sein. Vielleicht ist sie ja wirklich nur ohnmächtig und wacht wieder auf, zum Beispiel beim Radetzkymarsch, der in knapp einer Minute aus dem Lautsprecher kommen wird und selbst Tote weckt.
    Die Gräfin greift nach der Leselupe, die sie an einer Kette um den Hals trägt. Sie hebt die Broschüre vors Gesicht und glotzt durch die Lupe hinein, ich drehe den Kopf zum Fenster.
    Â»Der Lebenskreis«, knarzt die Gräfin,
    Â»hat sich
    geschlossen.
    Was bleibt
    sind Erinner
    ung und
    Dank.«
    Ich sehe aus dem Fenster. Der Rasenmäher steht neben dem Käfig, der Mann im grünen Overall klettert gerade über den roten Zaun, der nackte Mann hängt gerade am Klettergerüst und schwenkt die Beine.
    Â»Wenn die
    Lebenskra
    ft zu Ende
    geht, ist
    die Erlös
    ung Gn
    ade.«
    Der Mann im grünen Overall ist im Käfig. Er öffnet den Reißverschluss vom Overall und klappt ihn bis zu den Hüften hinunter. Der nackte Mann springt vom Klettergerüst, der Mann mit dem nackten Oberkörper hebt die Fäuste, die sind schon schön, die Texte, aber dass sie immer so schmal sein müssen, das finde ich problematisch. Man könnte ja auch einfach die Urnen breiter machen, das wäre so eine von diesen praktischen Ideen, die die Welt braucht.
    Â»Die Welt
    geht zu En
    de. Wer am
    Ziel ist, fin
    det Ruh mstata Rumstata …«
    Der Rest geht in den ersten Takten vom Radetzkymarsch unter.
    Â»Wir müssen los, Gräfin«, sage ich und drücke meine Zigarette im Aschenbecher aus. Ich beuge mich vor und ziehe der Gräfin die Zigarette aus dem Mundwinkel. Ich stehe auf, ich öffne das Fenster.
    Der Himmel ist knallblau, der Rasen ist knallgrün. Ich hebe den Arm und werfe die brennende Zigarette in diesen herrlichen Tag, der aus künstlichen Farbstoffen gemacht ist, und vielleicht sind sie ja hochexplosiv, die Farbstoffe, wer weiß. Unten im Käfig schlagen der nackte und der halbnackte Mann mit bloßen Fäusten aufeinander ein.
    Das könnte ein schöner Anblick sein.
    Das könnte viel Spaß machen.
    Denke ich wie jeden Morgen, und wie jeden Morgen macht mich das ein bisschen traurig. Nichts explodiert, und die beiden Versager da unten schlagen wie immer knapp aneinander vorbei, noch dazu absichtlich, sowas nennt man Sport, Boxtraining und so, wirklich traurig.
    Später beim Frühstück wird wie immer Totenstille eintreten, wenn Schwester Terese den Speisesaal betritt, und sie wird mit ihrer scharfen Stimme fragen, wo Frau Wimmer ist.
    Na ja, was soll ich sagen?
    Soll ich sagen: Frau Wimmer wäre heute Morgen fast erstickt, liebe Schwester Terese, aber wer suchet, der findet, und deswegen hat sie es dann doch noch geschafft und den Kopf aus dem Müllsack gezogen, in den irgendjemand die persönlichen Dinge von

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