Der Zwerg reinigt den Kittel
Wimmers Müllsack ist blau mit einem gelben Zugband, auÃerdem ziemlich abgenutzt, immerhin schleppt sie ihn seit einem Jahr überall mit sich herum. Der Müllsack, in dem Frau Wimmer demnächst ersticken wird, ist neu und grün, mit einem weiÃen Band.
Die Gräfin saugt an der Zigarette, Rauch quillt aus ihrer Nase. »Chrysanthemen«, knarzt sie, »rote Nelken. Das Mindeste.«
Fiep, fiep.
Das regt mich echt auf, das mit dem Blumengesteck, ich meine: So eine Seebestattung ist kostspielig genug, und eine ganze Menge von Bomkes Partnern zocken kräftig ab, wenn du im ewigen Rauschen des Meeres für immer gegenwärtig bleiben willst. Das mit dem Rauschen steht in Bomkes Broschüre, die Gräfin hat sie an unserem ersten gemeinsamen Morgen aus dem Stapel gezogen und mir daraus vorgelesen.
Seite fünf, gute Gründe für Seebestattung:
Weil du im ewigen Rauschen des Meeres für immer gegenwärtig bleiben willst.
Weil dich die Weite, die Kraft und die Ziellosigkeit des Meeres faszinieren.
Weil du gerne Wassersport treibst.
Aber egal, ob du ewig rauschen willst oder einfach nur sportlich bist, es wird dich eine schöne Stange Geld kosten. Die Reederei zockt ab, das Transportunternehmen zockt ab, das Krematorium zockt ab. Und die Sargtischlerei natürlich auch, und das regt mich fast so auf wie das Blumengesteck, weil der Sarg fast so sinnlos ist wie das Gesteck, aber nur fast, weil um den Sarg kommst du nicht herum, der ist Vorschrift.
Gilt auch für: Asche.
Gilt auch für: Urne.
Sie schmeiÃen keine ganzen Leichen ins Meer, deswegen musst du dich verbrennen lassen. Sie schmeiÃen keine nackten Leichen in den Ofen, deswegen brauchst du Totenklamotten und einen Sarg. Sie schmeiÃen keine Keksdosen ins Meer, deswegen brauchst du für die Asche eine Urne. Und weil sich keine eingeäscherte Leiche selbst unter den Arm nimmt und sagt: »Na, dann wollen wir mal. Auf nach Büsum!« â deswegen brauchst du ein Transportunternehmen.
Für die billigste Urne bekommst du sechzig Premium-Plus-Einwegwindeln. Für den billigsten Sarg bekommst du hundert Schlüsselanhänger mit Mini-Tennisball und Wimbledon-Championship-Logo.
Der Sarg: Er verbrennt.
Die Urne: Sie versinkt.
Bevor sie das tut, steht sie auf einem kleinen Tisch mit weiÃem Ãberwurf an Deck der Royal Star . Der Kapitän im Gegenwert von zwanzig Rollen Zahnseide pro Stunde spricht ein paar Abschiedsworte, dann läutet er die Schiffsglocke und lässt die Urne langsam in die Wogen gleiten. Das Schiffshorn ertönt, der Steuermann lässt die Royal Star mit langsamer Fahrt mehrmals um die Beisetzungsstelle kreisen, deine Angehörigen weinen und trinken Sekt. Wenn du keine Angehörigen mehr hast, trinkt der Steuermann ein paar Gläschen, und der Kapitän schmeiÃt ein paar Blütenblätter ins Wasser.
Das Schiffshorn ertönt zum zweiten Mal, die auf Halbmast gesetzte Flagge wird gedippt, die Flagge wird auf Vollmast gesetzt, die Royal Star dreht ab und nimmt Kurs auf den Hafen von Büsum.
Blütenblätter treiben auf der Oberfläche, du sinkst langsam nach unten. In einer Urne aus Zellulose oder Pappmaché oder einem anderen wasserlöslichen Material. Auf dem Grund des Meeres, zwischen hungrigen Fischen und Algen mit Kohldampf, löst sich die Urne auf, und du schwebst in winzigen Stäubchen durchs ewige Blau.
Fischfutter.
Algennahrung.
Vielleicht der beste Grund für eine Seebestattung, aber der steht nicht in Bomkes Broschüre, dafür steht auf Seite fünf, dass du die ganze Seebestattung von der Leichenschau über den Kapitän bis zum Auflösen pauschal haben kannst, inklusive Sekt. Nur zwei Sachen kannst du nicht pauschal haben, die musst du extra bezahlen:
Erstens eine Inschrift auf deiner Urne, du hast drei Texte zur Auswahl.
Zweitens ein Blumengesteck auf deiner Urne, du hast drei Gestecke zur Auswahl. Das teuerste besteht aus weiÃen Chrysanthemen und roten Nelken, du kannst es wahlweise in Form einer Krone haben oder in Form einer Seemannsmütze.
Fiep!
Die Inschrift habe ich der Gräfin ausreden können, gegen das Blumengesteck bin ich machtlos. Aber ich kämpfe trotzdem dagegen an, weil mich das echt aufregt Fiep!, und Sie finden das jetzt vielleicht ziemlich sentimental, was ich da gleich sagen werde, aber ich sage es trotzdem:
Lasst die Blumen leben! Lasst sie wachsen auf einer grünen Wiese, so hoch
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