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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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paar Sekunden, fiepfiep .
    Kein gutes Zeichen.
    Was auch immer die Wimmer da sucht: Wenn sie es nicht bald findet, dann haben wir hier ein Problem auf Zimmer Nummer fünf.
    Â»Blumengesteck.«
    Mein Stichwort wie jeden Morgen. »Na ja, Gräfin«, sage ich und drehe den Kopf zu ihr, »Sie wissen, was ich von dem Blumengesteck halte. Aber der Rest klingt gut. Eine wirklich gute Entscheidung, und Sie sollten dabei bleiben, schon wegen der frischen Luft.«
    Die Gräfin sagt nichts. Sie sitzt mit halb geschlossenen Augen da und zieht an der Zigarette, freihändig. Die Zigarette klemmt im Mundwinkel, die Hände liegen im Schoß.
    Â»Und wegen der Route natürlich, das macht sicher großen Spaß. Der Hafen in Büsum soll sehr schön sein, und von der Süderpiep schwärmen alle, die schon einmal durch die Nordsee geschippert sind.«
    Die Gräfin sagt nichts. Rauch quillt aus ihrer Nase, ihre Hände liegen regungslos nebeneinander, auf dem weißen Stoff sehen sie aus wie zwei Rorschachtests. Aber nicht aus Tinte, sondern aus dem, was alte Leute so auf ihre Klamotten kleckern beim Mittagessen. Kürbiscremesuppe, das sind die Handrücken. Soja und Senf, das sind die Pigmentflecken. Blaubeerspritzer, das sind die Adern, manchmal zucken die Hände kurz zusammen, dann sind sie zwei Rorschachtests, die aussehen wie plattgewalzte Kröten. Jemand stößt sie mit dem Fuß an, um zu testen, ob sie noch leben.
    Fiep, fiep, macht Frau Wimmer.
    Die Gräfin zuckt, die Kröten leben, jetzt verzieht sie ihr langes Gesicht, gleich wird sie gähnen. Ich nehme ihr die Zigarette aus dem Mundwinkel, die rechte Kröte klettert auf einer unsichtbaren Leiter durch die Luft, langsam wie eine Kröte, und legt sich über den weit geöffneten Mund der Gräfin. Das dauert, es ist ein weiter Weg.
    Die meisten Leute schrumpfen, wenn sie alt werden, viele werden fett, bevor sie dann kurz vorm Abnippeln vom Fleisch fallen und am Ende in einen Kindersarg passen. Die Gräfin nicht. Gott hat sie vor hundert Jahren auf eine Streckbank gelegt, seitdem wird sie immer länger, nur die Hände gehen in die Breite und die Füße, überhaupt alles, was an der Gräfin so dranhängt, leiert aus. Sie wird in keinen Sarg passen, wenn es so weit ist. Sie wird einen Schiffscontainer brauchen, so einen langgezogenen, in dem lange Knochen Platz haben und viele große Dinge. Große Hände, große Ohren. Die Nase der Gräfin: Denk an einen Türstopper für das gewaltige Tor zum ewigen Reich Gottes, und du hast das Bild.
    Die Gräfin ist mit dem Gähnen fertig, ich stecke ihr die Zigarette zurück in den Mundwinkel.
    Â»Wo ist es nur fiep «, jammert die Wimmer, »das muss doch hier fiep irgendwo …«, ihr Kopf verschwindet im Müllsack.
    Ich sollte heute zur Abwechslung nichts sagen. Hat ja doch keinen Sinn. Leuten von etwas abraten: Vergiss es. Wenn jemand seinen Kopf in einen Müllsack stecken will, dann soll er doch, und wenn jemand ein sündteures Blumengesteck will, obwohl das überhaupt keinen Sinn macht, dann von mir aus. Mir doch egal.
    Und deswegen werde ich jetzt nichts sagen.
    Heute nicht.
    Â»Nur das mit dem Blumengesteck«, sage ich, »das sollten Sie sich noch einmal überlegen, Gräfin.«
    Sich selbst von etwas abraten: Vergiss es.
    Â»Kostet ja ein stattliches Sümmchen so ein Gesteck, und ein paar lose Blütenblätter sind doch auch schön«, sage ich.
    Die Gräfin zieht ihre halb geschlossenen Lider nach oben und sieht mich an. Rechts ist die Pupille grau, links ist sie gräulich. Katarakt, Trübung der Augenlinse, grauer Star. Drei Namen für dasselbe, ich mag den Vogel am liebsten. Er baut seit vielen Jahren sein Nest in den Pupillen der Gräfin, und wenn er fertig ist, wird sie blind sein.
    Die Gräfin schüttelt langsam den Kopf, Asche fällt in ihren Schoß. Nicht auf die Kröten, sondern auf das weiße Geschirrtuch, das sie sich immer übers Kleid legt beim Rauchen. Gleich wird sie sagen, dass es ohne Blumengesteck nicht geht. Eine Krone aus weißen Chrysanthemen und roten Nelken, wird sie sagen, ist das Mindeste, und ihre Stimme wird knarzen wie die Planken auf dem Hochseekutter Royal Star , mit dem die Gräfin ihre letzte Schiffsreise machen will.
    Seebestattung.
    Sie erzählt mir jeden Morgen davon.
    Seit acht Tagen jeden Morgen, Schwester Cornelia sagt, dass sie seit

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