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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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ein Küchenmesser mit bläulicher Klinge.
    Die Küchenhilfe schüttelt eine Packung Orangensaft auf, das Bettelarmband klimpert, ich denke an den Flügelschlag einer Taube: kühler Wind. Ich denke an ein liebendes Herz: kaltes Silber.
    Alles eine Frage der Konzentration, hat Karlotta gesagt, und dass es ganz leicht ist, nicht zu schwitzen, wenn man sich konzentriert. Das hat sie vor acht Tagen gesagt, nach unserem ersten Saunafrühstück in der R ESIDENZ .
    Â»Ganz leicht, wir müssen es nur hinkriegen. Wenn wir es nicht hinkriegen, fallen wir auf.«
    Â»Bedeutet?«, habe ich gesagt.
    Â»Bedeutet: Alte Leute schwitzen nicht, im Gegenteil. Sie frieren ständig, weil ihre Körpertemperatur grundsätzlich niedriger ist als die von jungen Leuten, das macht die Nähe zum Grab, in dem es bekanntlich feucht und kalt ist, und das heißt: Solange wir noch schwitzen wie die Schweine, sind wir jung. Zu jung für die R ESIDENZ , zu jung für Pflegestufe zwei.«
    Â»Bedeutet?«, habe ich gesagt.
    Â»Bedeutet: Geschwitzt wird nicht! Nicht beim Frühstück, nicht beim Mittagessen, überhaupt nie – und wenn Schwester Terese höchstpersönlich die Heizung von Maximum auf Krematorium dreht!«
    Â»Aber wie sollen wir das machen?«, hat Suzanna gejammert.
    Â»Alles eine Frage der Konzentration«, hat Karlotta gesagt. »Man muss einen Punkt fixieren, irgendwo im Raum, und dann ganz fest an etwas denken, das entweder kühl oder kalt ist. Oder blau.«
    Â»Zum Beispiel?«, habe ich gesagt.
    Â»Keine Ahnung. Lass dir was einfallen.«
    Quietschquietsch, Schwester Cornelia kommt mit ihrem Wägelchen angerollt, die Räder müssen dringend geschmiert werden, ich denke an kaltgepresstes Olivenöl. Das Wägelchen hält neben unserem Tisch, Schwester Cornelia fährt sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Ihre Wangen glänzen wie zwei knusprige Scheiben Speck, mein Gott, bin ich hungrig. Sie lässt den Arm wieder sinken und schnauft, dann verteilt sie das Frühstück.
    Mein Gott, ist das traurig.
    Knäckebrot, Diätmargarine, fettreduzierter Frischkäse. Erdbeermarmelade mit Süßstoff, alles portioniert und verpackt, die Margarine ist ein winziges Würfelchen, der Frischkäse ist ein winziges rundes Behälterchen, du kannst ein Bettelarmband aus diesen Dingern machen.
    Â»Wie im Flugzeug«, hat Marlen gesagt, bei unserem ersten Frühstück, »das ist hier wie im Flugzeug, und alle an Bord fliegen zum Internationalen Diabetikertreffen. Oder zur Internationalen Welthungerkonferenz.«
    Â» Nicht witzig.« Suzannas Stimme war sehr gepresst. Dann hat sie gesagt, dass sie einen Fallschirm will. Sofort.
    Schwester Cornelia legt das Flugzeugfutter neben unsere Teller, jeder bekommt ein Würfelchen, jeder bekommt ein Behälterchen, das Wägelchen bewegt sich im Uhrzeigersinn um den Tisch und macht quietschquietsch, jetzt legt Schwester Cornelia eine winzige Packung Knäckebrot neben den Teller von Frau Kropp. Jetzt runzelt sie die Stirn. Jetzt nimmt sie das Knäckebrot wieder weg und den Teller auch, später wird sie zu mir sagen, dass es schon ein Elend ist mit der Küchenhilfe, weil die das nämlich immer macht, das mit dem Gedeck für die Toten. Wenn du am frühen Nachmittag stirbst, bekommst du von der Küchenhilfe zum Kaffee noch einmal eine Tasse hingestellt und einen Kuchenteller. Wenn du über Nacht stirbst, bekommst du das komplette Frühstücksgedeck, irgend so ein polnischer Brauch. Die letzte Mahlzeit, die letzte Ehre, wasweißich, wird Schwester Cornelia sagen, und dass die Toten sich rächen, wenn man sie nicht noch einmal füttert kurz nach dem Absterben. Behauptet zumindest die Küchenhilfe.
    Schwester Cornelia quietscht mit ihrem Wägelchen wieder davon, ich starre konzentriert auf mein Frühstück.
    Flugzeug, denke ich. Fünftausend Meter Höhe, eine Luke öffnet sich, ich springe nackt in das eiskalte Blau, ohne Fallschirm.
    Die Uhr sagt knack, 07 : 52 , noch drei Minuten, und wir dürfen anfangen. Nicht mit dem Frühstück, sondern mit dem Aufreißen der Packungen. Bis dahin müssen alle auf ihren Plätzen sein. Wer es nicht schafft, hat ein Problem. Welches, wird Schwester Terese entscheiden.
    Ich werfe einen Blick in die Runde. Alle da, bis auf Frau Wimmer, und der Professor fehlt auch noch. Und Kurt Schwochow

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