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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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immer, aber er sieht trotzdem anders aus als sonst.
    Seine Augen.
    Sein Schweiß.
    Anders als sonst. Langsam bekomme ich eine Ahnung, was Frau Fitz da macht.
    Â»Und Sie «, sagt Doppelrudi zu Suzanna, »werden heute Ihre dicken Finger von der Nutella lassen. Frau Schnalke wird ein Auge darauf haben, nicht wahr, Frau Schnalke?«
    Â»Jawohl!« Frau Schnalke legt den Kugelschreiber an die Stirn wie ein salutierender Soldat. »Ein Auge haben! Wird gemacht! Gegebenenfalls melden?«
    Â»Gegebenenfalls«, sagt Doppelrudi, » unbedingt melden.«
    Ich kann nicht glauben, dass er das gerade gesagt hat.
    Verräter.
    Frau Fitz lässt ihre Fäuste sinken und sagt laut »Schluchz«. Doppelrudi starrt sie an. Ihre Augen sind rot vom Pressen und Reiben, rot und wässrig, eine gelungene Nachahmung von Doppelrudis Augen, und vielleicht hat er ja eine Bindehautentzündung, aber ich denke nicht.
    Und jetzt zum Mitschreiben für alle, die gerne selbstgebastelte Kalender verschenken und noch einen schönen Satz für den 17 . August suchen:
    Der Schmerz um die Toten macht uns alle zu Verrätern an den Lebenden.
    Und jetzt zum Mitschreiben für alle, die hin und wieder rote Augen haben und nicht so recht wissen, welche Ausrede die beste ist:
    Zugluft, Staubkörner, Bindehautentzündung – vergiss es. Wenn dich jemand fragt, warum du so rote Augen hast, dann sag’s einfach.
    Sag: Ich habe geweint.
    Das macht die Sache nicht besser, und keiner deiner Toten kehrt zurück, nur weil du um sie geweint hast ein paar Minuten oder Stunden, aber wenigstens ist es raus.
    Versuch es mit Tagen: Sie kehren nicht zurück.
    Versuch es mit Nächten: keine Chance.
    Sag: Ich habe vierzig Jahre um meine Toten geweint, Tag für Tag, Nacht für Nacht, schlaflos und kettenrauchend, jetzt habe ich rote Augen und eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung, aber keiner kehrt je wieder.
    Hilft nicht viel, wenn du das sagst, aber wenigstens ist es raus.
    Doppelrudi sagt nichts, aber es hat ihn ja auch keiner gefragt. Er starrt auf Frau Fitz, dann fährt er sich mit der flachen Hand übers Gesicht und wischt den Schweiß weg, der heute aus Tränen gemacht ist, einfach herrlich, der Sommer: Du kannst heulen, und keinem fällt’s auf, außer einer irren Alten mit Morbus Alzheimer vielleicht.
    Ich sehe Doppelrudi nach, der mit seinem Wägelchen wieder davonquietscht, und denke konzentriert an Frau Kropp. An ihre kalte Haut, die eisigen Lippen, die blauvioletten Totenflecken auf ihrem Rücken.
    Â»Gutenmorgengutenmorgen!«, brüllt jemand durch den ganzen …
    Â»Was?« Doktor Klupp unterbricht mich und setzt sich kerzengerade auf.
    Schau an, wer hätte das gedacht. Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Lebenszeichen, Erweckungswunder. Doktor Klupp weilt wieder unter uns, wie man so sagt, er war eher abwesend in letzter Zeit.
    Schön, dass Sie wieder bei Bewusstsein sind, Herr Doktor, sage ich.
    Na, besser nicht, ich sage das jetzt besser nicht, jetzt lieber höflich bleiben, sonst wirft er mir wieder Blockade vor oder behauptet, dass ich plemplem bin.
    Â»Was genau meinen Sie mit Was? «, sage ich höflich.
    Â» Was haben Sie da gerade gesagt?«
    Â»Nichts Besonderes«, sage ich. »Ich war gerade bei Frau Kropp und ihrer angenehm kühlen Erscheinung.«
    Â»Davor«, sagt er, »was haben Sie davor gesagt?«
    Â»Nichts Besonderes. Da war ich bei Doppelrudi und seinen Augen. Er hat die alte Kropp sehr gemocht, vielleicht ein Mutterersatz, was meinen Sie? Anders gefragt: Würden Sie sich nicht auch einen Ersatz für Ihre Mutter suchen, wenn Sie R. Rudolph wären? Wenn Ihnen Ihre Mutter den Vornamen Rudolf gegeben hätte, obwohl Ihr Nachname Rudolph ist? Kein besonders guter Start ins Leben, wenn Sie mich fragen. Die ersten Lacher gibt’s bei der Taufe, und im Kindergarten …«
    Doktor Klupp unterbricht mich mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Sie haben etwas über die Toten gesagt, was war das?«
    Ãœber die Toten?
    Mein Gott, was man eben so sagt über die Toten. Sie sind tot, sie sind hungrig, und wenn wir sie nicht füttern mit Knäckebrot und Diätmargarine, dann fressen sie uns von innen auf. Habe ich übrigens gar nicht gesagt, hätte ich aber sagen können, wenn ich eine polnische Küchenhilfe wäre. Als polnische Küchenhilfe würde ich nämlich sagen, dass die letzte

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