Der Zypressengarten
ihre Familie nicht dabeihaben wollte, weil sie Angst hatte, die blamieren sie. Sie gibt sich gerne einen vornehmen Touch, ich meine, schon, wie sie redet. Das ist ziemlich aufgesetzt, finde ich, als wenn sie sich ein bisschen zu doll anstrengt.«
Inzwischen dämmerte der Abend, sodass die Teelichte in den lila Gläsern heller leuchteten. Das Vogelgezwitscher war verstummt und nur noch das einschläfernde Murmeln der Wellen am Spülsaum zu hören. Rafa leerte sein Glas. Sylvia steckte sich noch eine Zigarette an. Er wollte dringend mehr über Clementine erfahren.
»Hast du Clementines Handynummer?«, fragte er.
»Ja, habe ich.« Sylvia war nicht begeistert.
»Gib sie mir bitte.«
Widerwillig wühlte sie in ihrer Handtasche nach ihrem Handy, zog es heraus und scrollte nach der Nummer. Dann las sie die Zahlen laut vor und sah nervös zu, wie Rafa sie in sein BlackBerry tippte.
»Willst du sie anrufen?«
»Wieso nicht? Wenn sie sowieso ausgehen will, kann sie auch hierherkommen.«
»Ich glaube kaum, dass Joe das so klasse findet, wenn sie sich hier mit dir trifft.«
»Dann bringt sie ihn eben mit.«
»Wieso schreibst du ihr nicht eine SMS?«
»Wäre das denn besser als ein Anruf?«
»Ja, klar. Ein Anruf kann eher mal stören.«
C. wo bist du? Ich hatte gehofft, dass du mit Sylvia zum Hotel kommst. Bist du wirklich zu beschäftigt? Ich möchte dir sagen, dass es mir leidtut … Rafa.
Clementine las den Text, und ihr Magen benahm sich wie ein Pfannkuchen, der in der Luft gewendet wurde. Sie las noch einmal und wurde rot. Ihr erster Gedanke war, dass Rafa sie sehen wollte. Ihr zweiter, dass Sylvia sie absichtlich nicht gefragt hatte, ob sie mitkam. Sie sah zu Joe, der sich im Sessel fläzte und Sport auf Sky guckte. Jetzt konnte sie unmöglich weg. Wenn Joe doch einfach verpuffen würde!
Geht jetzt nicht. Kannst du morgen nach der Arbeit zum vergessenen Haus kommen? C.
Rafas BlackBerry piepte, und Sylvia wurde rot. »Ist das Clementine? Kommt sie?«
Er blickte aufs Display und überlegte. Das Haus, das Gott vergessen hatte – würde er es wiederfinden?
»Und? Was schreibt sie?«
»Sie ist beschäftigt«, antwortete er.
Sylvia entspannte sich merklich. »Siehst du? Hab ich doch gesagt.«
»Ich treffe sie morgen. Wann macht ihr im Büro Schluss?«
»Um halb sechs.«
»Okay.« Er tippte mit den Daumen.
Ich komme zu deinem Büro, und wir fahren zusammen hin.
»Mit wem textest du da?«, fragte Joe.
»Jake«, log Clementine. »Ich fahre morgen nach der Arbeit rauf zum Hotel. Er will mir irgendwas erzählen.«
»Wahrscheinlich will er dich bequatschen, wieder zurückzukommen.«
»Kann sein.« Das Einzige, was sie daran hinderte, war ihr Stolz. Joe guckte sein Spiel weiter. Sie sah ihm zu, wie er Bier aus der Dose trank, die Füße auf einem Hocker und die Augen auf den Bildschirm geheftet. Wie prollig er war. Als sie sich gerade fragte, was sie geritten hatte, zu ihm zu ziehen, piepte ihr Handy wieder. Sie las die Nachricht. Rafa wollte sie morgen abholen, und sie würden gemeinsam zu der alten Kirche fahren, ihrem geheimen Ort. Schlagartig besserte sich ihre Laune.
Sie erinnerte sich, wie sie den kleinen Weg vom Strand hinuntergingen und er sie von den Brombeerzweigen befreite; wie sie sich bis auf die Unterwäsche auszogen und ins Wasser liefen; wie sie gelacht, sich gegenseitig Geschichten erzählt hatten und mit einer kribbeligen Stimmung ins Polzanze zurückkehrten, ähnlich Schulkindern, die etwas ausgefressen hatten. Sie lächelte in sich hinein und hoffte, dass der morgige Tag genauso besonders würde.
Sylvia entging nicht, dass Rafa auf seine Uhr sah. Sie spürte deutlich, dass er nicht an ihr interessiert war und sie sich gerade zum Affen machte. Also blickte sie auf ihre Uhr und sagte betont erschrocken: »Ach du Schreck, so spät? Ich muss los. Freddie wundert sich bestimmt schon, wo ich bleibe.«
»Freddie?«
»Mein Freund. Er wartet sicher auf sein Abendessen.«
»Ja, ich sollte auch gehen.«
»Hast du eine Verabredung?«
»Ich setze mich zu meinen Schülern.« Er grinste. »Klingt komisch, wenn man bedenkt, dass keiner von ihnen unter siebzig ist.«
Sie schaute sich um. »Hier ist echt der Bär los.«
»Es ist ein sehr schönes Hotel.«
»Trotzdem wird gemunkelt, dass sie ziemlich zu kämpfen haben.«
»So sieht es für mich nicht aus.«
»Nein, für mich auch nicht. Die Stimmung fühlt sich eher beschwingt an. Da möchte ich am liebsten bleiben und mich anstecken
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