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Der Zypressengarten

Der Zypressengarten

Titel: Der Zypressengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Santa Montefiore
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Grey ihnen zuwarf. Die Sonne schien ihm auf den Rücken, die Meeresbrise strich ihm übers Gesicht, und er genoss den Frieden. Samtige grüne Wiesen stießen auf raue Klippen, an denen Vögel nisteten, und nur ein oder zwei Häuser stemmten sich tapfer gegen die Küstenwinde. Ein gelber Strand lag verborgen in der Bucht. Grey hatte noch nie jemanden dort spazieren gehen gesehen, obwohl ein schmaler Pfad zwischen den Felsen nach unten führte. Es sah verlockend aus, und er stellte sich vor, eine Picknickdecke auf dem Sand auszubreiten und mit Marina in der Sonne zu liegen, die ungestörte Ruhe genießend.
    Natürlich waren seine Gedanken dauernd bei seiner Frau, denn sie schien zunehmend ängstlicher zu werden. Und er verstand ihre Sorge. Keiner liebte das Polzanze mehr als sie. Als sie sich kennenlernten, war es ihr Traum gewesen, ein wunderschönes Heim zu schaffen. Hätte er das Geld gehabt, er hätte es ihr sofort gekauft, aber sein Anwaltsgehalt reichte bestenfalls für einen Flügel von der Art Haus, das ihm für sie vorschwebte. Also hatte er stattdessen das heruntergekommene Herrenhaus gekauft und erfreut zugesehen, wie sie es langsam und mühevoll in den Palast ihrer Träume verwandelte. Anfangs hatte er es ihr überlassen, war über die Wochenenden mit dem Zug von London hergekommen und bewunderte, was sie über die Woche geschafft hatte. Harvey half ihr, und gemeinsam renovierten sie und strichen, während Mr Potter mit seinen Söhnen Ted und Daniel im Garten schuftete. Sie alle arbeiteten voller Hingabe – Marina mit ihrem Traum und Harvey und Mr Potter mit ihren Erinnerungen an glorreiche Tage, als das Haus noch ein herrschaftlicher Familiensitz gewesen war.
    Grey verließ London, als sie das Polzanze eröffneten. Ein Hotel zu leiten, war ein Ganztagsjob, und Marina wollte alles familiär gestalten, wie ein Zuhause, in dem sie zahlende Gäste empfing. Sie begrüßte jeden an der Tür. Bald wurden sie in den einschlägigen Zeitschriften erwähnt, und die Leute kamen herbei, um Marinas hübsche Einrichtung und die wunderschöne Gartenanlage zu bestaunen. Es gab reichlich zu tun. Unweit vom Hotel lag ein Golfplatz, und auf den sechs Tennisplätzen fanden jeden Sommer die Shelton-Turniere für die jüngeren Gäste statt. Grey veranstaltete Angelausflüge, versorgte das Hotel mit frischen Muscheln, Hummer und Krebsen sowie einer großen Auswahl an Fisch. Über einen schmalen Weg konnten die Gäste an den Klippen entlang nach Dawcomb-Devlish gelangen, wo es klassische Boutiquen und Restaurants gab. Im Ort standen die Kinder für Flechtfrisuren und aufgesprühte Tattoos an, während ihre Mütter einkauften und die Väter Speedboat fuhren oder Tagestouren nach Salcombe machten.
    Seit dem Tag, an dem sie heirateten, wünschte Marina sich Kinder. Mit dreiunddreißig Jahren war sie viel jünger als Grey. Er war zweiundvierzig, hatte eine zerbrochene Ehe hinter sich und zwei Kinder im Alter von drei und fünf Jahren, die hin und wieder übers Wochenende oder in den Ferien zu ihnen kamen. So sehr Marina auch Clementine und Jake vergötterte, sehnte sie sich nach einem eigenen Baby. Grey spielte mit Freuden mit, und das nicht, weil er dringend mehr Nachwuchs wollte, sondern weil Marina glücklich sein sollte. Er war sich des Altersunterschieds wohlbewusst und versuchte, ihn zu überbrücken, indem er seiner Frau jeden Wunsch erfüllte, ganz so wie es ein Vater bei seiner geliebten Tochter halten würde. Marina fing an, in die Kirche zu gehen, Gott zu bitten, er möge sie mit einem Kind segnen, doch es kam keines. Hörte er sie nicht, oder fand er, sie verdiente kein Kind? Mit dieser Frage quälte Marina sich.
    Heute ging sie nicht mehr in die Kirche. Sie betete nicht mehr, und ihre Augen wurden nicht mehr feucht, wenn von Kindern die Rede war. Gott hatte sie im Stich gelassen, und seine kalte Zurückweisung erfüllte sie mit einem überwältigenden Schamgefühl. Das Polzanze hielt sie über viele Jahre aufrecht. Jetzt allerdings senkte sich ein Vorhang über ihren Traum von der Mutterschaft. Sie verbrachte mehr Zeit am Strand, starrte hinaus aufs Meer, als erwartete sie, dass es ihr ein Kind brachte. Grey wusste, dass ihr die Zukunft leer und düster erschien, nicht strahlend vor Kinderlachen und schließlich Enkelkindern, die es eigentlich geben sollte. Noch dazu steckten sie in ernsten finanziellen Schwierigkeiten und zahlten hohe Kredite ab. Marina war klar, dass sie das Polzanze zu verlieren drohte, auch wenn sie

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