Der Zypressengarten
mich gestern mit ihm gesehen. Jetzt kennen sie mich.«
»Trotzdem rufen sie vielleicht die Polizei.«
»Das machen sie bestimmt nicht. Was können denn zwei Mädchen tun, wovor sie Angst haben? Sehen wir etwa wie Zigeuner aus?«
»Wir können Ärger kriegen. Beppe ist ein sehr mächtiger Mann.«
»Na und? Er ist immer noch ein Mensch wie wir alle. Sei nicht so schissig.«
»Ich bin bloß vernünftig.«
»Dann lass es. Vernünftig sein macht keinen Spaß.«
Schließlich standen sie vor den großen schwarzen Eisentoren und sahen hinein. Am Ende der Zypressenallee leuchtete die Villa kokett auf.
»Das ist wirklich ein schicker Palazzo «, sagte Costanza voller Bewunderung.
»Nicht schick. Er ist magisch.«
»Ich habe schon reichlich Häuser wie das gesehen.«
»Ja, hast du bestimmt.«
»Unser Haus in Portofino war ganz ähnlich wie das.«
»Schade, dass dein Vater es verloren hat.«
»Eigentlich nicht. So ein großes Haus macht viel Arbeit.«
»Nicht, wenn man Leute hat, die für einen arbeiten.«
»Ja, natürlich hatten wir Bedienstete. Jede Menge.«
»Hier habe ich gestern Dante getroffen«, sagte Floriana verträumt.
»Jetzt ist er jedenfalls nicht hier.«
»Ach, der kommt noch.«
»Ich finde, wir gehen lieber wieder nach Hause.«
»Du hast Angst.«
»Habe ich nicht. Ich finde es bloß nicht besonders toll, hier am Tor zu stehen wie streunende Hunde.«
»Wenn er nicht kommt, klettern wir über die Mauer.«
»In unseren Kleidern?«
»Nein, nein, die ziehen wir aus.«
Costanza war entsetzt. »Sie ausziehen!«
»Ja, wir ziehen sie aus, werfen sie über die Mauer und klettern rüber. Drüben ziehen wir sie wieder an, ganz einfach.«
»Du veralberst mich.«
»Nein. Komm mit, ich zeig’s dir.«
Floriana lief sorglos weiter an der Mauer entlang, die sie so gut kannte, bis sie jenen Teil erreichten, wo das obere Stück eingefallen war, sodass sie hinaufklettern konnten. »Von oben können wir in den Garten gucken. Der ist richtig schön.«
»Ich will nicht da raufklettern. Wenn ich mir mein Kleid zerreiße, bring Mamma mich um.«
»Dann zieh es aus.« Costanza sah entgeistert zu, wie Floriana ihr Kleid abstreifte und nackt bis auf eine vergilbte weiße Unterhose vor ihr stand. Sie hatte noch den Körper einer Achtjährigen. Costanza hingegen war rundlicher und bekam bereits Brüste.
»Das tue ich nicht«, sagte sie, als Floriana einen kleinen Tanz aufführte, um sie zu quälen.
»Es fühlt sich toll an, nichts anzuhaben. Mach schon, das ist lustig!«
»Du bist zu alt, um nackig herumzuhüpfen.«
»Meinetwegen. Dann lass es.« Floriana hörte auf zu tanzen und warf lachend ihr Kleid über die Mauer. »Weg ist es. Ich hoffe, drüben ist kein Hund!« Wie ein Affe stieg sie die Mauer hinauf. Oben hockte sie sich stolz auf die Steinkante und grinste ihrer Freundin zu. »Ich geb dir die Hand. Komm schon!« Costanza griff nach oben und nahm Florianas Hand. »Steck deinen Fuß in das Loch da und zieh dich rauf.«
Sie tat es, und kletterte sehr langsam und vorsichtig nach oben zu ihrer Freundin.
»Ich kann nicht glauben, dass du das gemacht hast«, japste Costanza und strich sich ihr Kleid glatt. »Wenn dich jemand sieht!«
»Wer soll mich denn sehen?«
»Ich«, antwortete eine tiefe Stimme von der anderen Seite der Mauer. Floriana blickte hinunter und sah Dante, der ihr das Kleid hinhielt. »Ich gucke aber nicht hin«, sagte er und schirmte mit der freien Hand seine Augen ab. Lachend und nicht die Spur verlegen nahm Floriana ihr Kleid, stieg hinein und zog es sich über die Schultern. »Darf ich jetzt wieder gucken?«
»Na klar darfst du«, antwortete sie und knöpfte ihr Kleid zu. »Da gibt’s sowieso nichts zu sehen.«
Costanza war rot bis zu den Haarwurzeln, denn sie malte sich aus, wie furchtbar es wäre, hätte sie auf ihre übermütige Freundin gehört und ihr Kleid ebenfalls ausgezogen und über die Mauer geworfen. Es war schon schlimm genug, dass sie uneingeladen das Grundstück betrat.
»Wer ist deine Freundin?«, fragte Dante und sah Costanza an.
»Costanza Aldorisio«, stellte Floriana sie vor.
»Kenne ich deine Eltern nicht?«
»Ja«, antwortete Costanza.
»Conte Carlo Aldorisio?«
»Ja«, flüsterte sie unsicher.
»Tja, dann steht nicht den ganzen Vormittag da oben. Ich helfe euch runter.« Er streckte ihnen die Hände entgegen, die Floriana ohne Zögern ergriff, und half ihr, aufs Gras zu hüpfen.
Costanza nahm seine Hände nur sehr schüchtern und schrecklich
Weitere Kostenlose Bücher