Der Zypressengarten
schon Kinder.«
»Er könnte meine einzige Option sein.«
»Du darfst nicht aufgeben.«
»Was? Die große Liebe zu finden? Du weißt, dass ich nicht daran glaube.«
Clementine grinste und sah zu ihrem Monitor. »Tja, ich schon.«
Rafa stellte zwei Stühle und eine Staffelei auf den Rasen vorm Haus, zur Zeder weisend. Der Brigadier war nach Hause gegangen, um sich etwas Passenderes anzuziehen. Nun trug er ein hellblaues Leinenjackett, das seine Frau ihm vor Jahren gekauft hatte.
Er hatte es heute zum ersten Mal an. Außerdem hatte er sich einen Panamahut zum Schutz vor der Sonne aufgesetzt. Er nahm auf einem der Stühle Platz und blickte verwirrt das weiße Blatt vor sich an.
»Und ich soll den Baum malen, ja?«
Rafa nickte. »Ja, allerdings will ich mehr als ein Bild von einem Baum.«
»Ah, ja, die Vögel in den Ästen auch, nehme ich an.«
»Vielleicht. Ich möchte, dass Sie den Baum nicht bloß sehen. Sie sollen ihn fühlen. «
»Na, das ist ziemlich schwierig. Sehen ist eines, Fühlen etwas ganz anderes.«
»Eigentlich nicht, Brigadier. Wenn ich eine genaue Kopie des Baumes wollte, würde ich ein Foto machen.« Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »Erzählen Sie mir, wie Sie sich beim Anblick dieses Baumes fühlen.«
»Nervös«, antwortete der Brigadier lachend.
»Ach ja? Warum das?«
»Weil ich nicht weiß, wo ich anfangen soll.«
»Sehen Sie den Baum an.«
»Ich sehe ihn an.«
»Sagen Sie nichts. Sehen Sie einfach nur hin. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie wollen.« Der Brigadier tat, wie ihm befohlen, und guckte den Baum an. Er sah lange und konzentriert hin, bis ihm die Augen brannten und er blinzeln musste. »Und wie fühlen Sie sich jetzt?«
Der Brigadier wollte wieder »nervös« antworten, als er eine seltsame Regung in der Mitte seines Brustkorbs spürte. Er sah den Baum an und dachte an seine Frau. Die Zeder erinnerte ihn an den Tag, als sie ihre achtjährige Tochter zum ersten Mal ins Internat fuhren. Dort hatte eine große Zeder neben der Kapelle gestanden, und sie war voller Kinder gewesen, die wie die Affen in den Ästen kletterten. »Es macht mich traurig«, sagte er heiser.
»Ah, jetzt sehen Sie, dass der Baum mehr ist als ein Baum. Er inspiriert Sie, Dinge zu fühlen. Ich möchte diese Dinge auch fühlen, wenn ich Ihr Bild ansehe.«
»Ach du meine Güte, das wird schwer.« Er räusperte sich heftig, um die ungewohnten Gefühle zu verscheuchen.
»Mir ist egal, ob Ihr Bild genau ist oder nicht. Mir geht es darum, dass Sie von dem bewegt sind, was Sie sehen, und dass Sie dieses Gefühl in Farbe auf das Blatt bringen. Versuchen Sie’s. Machen Sie sich keine Sorgen; überlegen Sie nicht zu viel. Tunken Sie Ihren Pinsel ein und lassen Sie ihn von Ihren Gefühlen übers Blatt führen.«
Und so wanderten die Gedanken des Brigadiers zurück zu seiner Frau, und er begann zu malen.
14
Hach, ist es nicht entzückend, wieder hier zu sein?«, sagte Veronica Leppley, die mit dem Enthusiasmus einer Schauspielerin nach längerer Bühnenabstinenz in die Hotelhalle gerauscht kam. Sie warf den Kopf in den Nacken und atmete tief durch die Nase ein. »Es riecht noch genauso.«
»Lilien«, sagte Grace Delennor in ihrem gedehnten South-Virginia-Akzent und ließ ihre Perlenkette durch die langen Finger gleiten. »Hotels haben immer Lilien.« Es brauchte eine Menge, Grace Delennor zu beeindrucken; immerhin hatte sie schon in den besten Hotels der Welt gewohnt.
»Pass auf, dass du keinen Blütenstaub auf deinen Kaschmir bekommst. Der geht verdammt schwer wieder raus«, warnte Pat Pitman. »Sue McCain schwört auf Backnatron, aber ich weiß nicht.« Keine der anderen hatte Sue McCain jemals persönlich getroffen, doch Pat erwähnte sie in jedem Gespräch, als wäre sie eine alte gemeinsame Freundin.
Grace ging auf Abstand zu den Lilien und ließ ihren Blick über den Raum schweifen. »Ah ja, an die Holzvertäfelung erinnere ich mich. Das ist so britisch.«
»Die rieche ich auch«, sagte Veronica aufgeregt. »Das Holz und dieses leicht Rauchige von den Kaminfeuern im letzten Winter. Ist es nicht herrlich?«
Grace schüttelte den Kopf, worauf sich eine einzelne blonde Locke aus ihrer Frisur löste und in ihre Stirn fiel. »Du musst ja eine sehr feine Nase haben, Veronica. Ich rieche gar nichts. Nicht mal Lilien.«
Jane Meister sagte kein Wort. Sie nahm stumm alles in sich auf, wie eine Taube auf einem Dach, die beobachtete, was um sie herum vorging. So vieles hatte sich seit ihrem letzten
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