Der Zypressengarten
wollen heute Abend eine machen«, sagte Grey. »Ich fahre mit Rafa zum Krebseangeln.«
»Da bin ich dabei. Nichts geht über ein bisschen Krebsefangen, um Appetit aufs Abendessen zu kriegen. Ich wollte eigentlich an den Klippen entlangwandern, aber das klingt weit unterhaltsamer.«
Clementine war bitter enttäuscht; hingegen schien es Rafa nichts auszumachen.
»Ich habe noch nie einen Krebs gefangen«, sagte er, worauf die Damen schallend loslachten und Pat sich anbot, es ihm zu zeigen. Wenigstens winkten die anderen beiden ab. Grace erklärte, dass sie ein langes heißes Bad nehmen und ihr Buch weiterlesen wollte, und Jane sagte, sie würde lieber durch den Garten spazieren, denn sie wurde leicht seekrank.
Clementine funkelte ihre Stiefmutter wütend an. Ohne Frage hatte sie ihr den Abend absichtlich verdorben. Sie kann ihn nicht haben, also soll ich ihn auch nicht kriegen, dachte sie beleidigt. Na, ich habe den ganzen Sommer Zeit, da kann ich einen Rückschlag verkraften.
Marina bot Jane Meister an, mit ihr durch den Garten zu schlendern, was die alte Dame freute. Sie ging auf ihr Zimmer, um sich ein Kopftuch zu holen. Marina blickte Rafa nach, der mit Clementine, Grey, Mrs Leppley und Mrs Pitman loszog. Sie wusste, dass sie ihre Stieftochter auf die Palme gebracht hatte, aber ihr war keine andere Wahl geblieben. Wenn das Mädchen bis heute nicht begriffen hatte, dass man einen Mann nicht gewann, indem man direkt mit ihm ins Bett hüpfte, musste sie eben gezwungen werden, sich zurückzuhalten. Marina kannte Männer wie Rafa – bevor sie Grey begegnete, hatte sie ihre Erfahrungen mit Affären gemacht. Solche Männer waren es gewöhnt, dass ihnen die Frauen zu Füßen lagen, schliefen mit ihnen und servierten sie ab, sobald sie keine Herausforderung mehr darstellten. Aber das konnte Marina ihr natürlich nicht sagen, weil Clementine fest überzeugt war, es besser zu wissen. Folglich blieb Marina nichts anderes übrig, als die hilflose Zuschauerin zu spielen.
Clementine saß zwischen den beiden alten Frauen, als sie hinunter zur Anlegestelle fuhren. Mrs Leppley roch nach Rosen und Puder. Mrs Pitman war extrem munter und erzählte von ihren zahlreichen Abenteuern auf See. Rafa saß mit Grey vorn im Wagen und hörte sich ihre Geschichten interessiert an. Allerdings fragte Clementine sich, ob er wirklich interessiert war oder einfach nur höflich. Falls Letzteres zutraf, war er ein sehr begabter Schauspieler.
Am Hafen angekommen, parkte Grey den Wagen. Shelton war eigentlich ein verschlafenes Nest, doch an diesem Spätnachmittag herrschte einiges Leben am Wasser. Mütter mit Kindern waren unterwegs, plauderten miteinander, während ihre Kleinen Eis schleckten. Einige alte Leute saßen auf den Bänken in der Sonne und genossen die Aussicht. Möwen taucten im Sturzflug nach Essenskrümeln und zankten sich um die Abfälle, die achtlose Erwachsene und tapsige Kinder fallen gelassen hatten. Segler mit wetterzerfurchten Gesichtern turnten auf ihren Booten herum, während Fischer mit ihren kleinen Fängen heimkehrten. Clementine wurde unwillentlich fröhlicher und ging voraus zum Boot ihres Vaters, das an einem Poller festgezurrt war.
Mrs Pitman war überglücklich, das Boot zu sehen, das – wie sollte es anders sein – Marina hieß. Es war nichts Besonderes, auch wenn man angesichts ihrer Begeisterung und ekstatischen Ausrufe glauben mochte, sie hätte die Lady Moura, die Mutter aller Megajachten, vor sich. »Na, ich muss schon sagen, was für ein prachtvolles Boot!« Sie stemmte die Hände in ihre breiten Hüften und lächelte anerkennend. »Und dann dieses ideale Wetter und die ruhige See. Das wird ein herrlicher Törn!°«
»Ein reizendes Boot«, pflichtete Veronica ihr bei und wickelte sich ihren Seidenschal um den Hals. »Ich setze mich vor die Kajüte, wo ich im Windschatten bin.«
»Wenn du keinen Wind willst, setz dich lieber rein, Veronica.«
»Und den ganzen Spaß versäumen? Nein, ich kuschel mich ganz in die Ecke. Ich kann mich gut kleinmachen.«
»Dann mal alle an Bord«, sagte Grey.
Rafa sprang an Decke und half den Damen. Clementine bemerkte, wie er sie ansah, als er ihnen die Hände reichte und sie sicher aufs Boot zog. Sein Lächeln war genauso verführerisch, sein Blick genauso intensiv, wie wenn er sie ansah. Sie wartete, bis sie an der Reihe war, und reichte ihm ihre Hand. Seine Berührung war warm und fest, sodass ein Kribbeln über Clementines Haut jagte. Sie kicherte verlegen, dabei
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