Derek Landy
ihr Spiegelbild
im Fenster, das Gesicht einer Leiche, eingerahmt von dunklem Haar.
Sie ließ die Hand sinken und der Vorhang fiel wieder zurück.
Der Nebel in ihrem Kopf wurde zu einer dicken, schweren Decke, die ihre
Gedanken im Keim erstickte.
Und die Zeit tat, was Zeit immer tut - sie verging.
Walküre saß da und starrte mit leerem Blick auf den Schuh
eines Mitreisenden, als sie merkte, dass die Kutsche langsamer wurde und hielt.
Mühsam hob sie den Blick zum Fenster, doch der Vorhang war immer noch zugezogen
und sie hatte jetzt nicht das Bedürfnis, ihn noch einmal zu öffnen. Die Tür zu
ihrer Rechten ging auf und die drei Toten stiegen wortlos aus. Mit schleppenden
Bewegungen folgt sie ihnen.
Sie befanden sich in einer Art Lagerhalle. Es war hier
genauso kalt, wie es in der Kutsche gewesen war. Der Dullahan wartete auf sie,
und als er sich von den anderen entfernte, folgte sie ihm in einen Raum mit
vielen Tischen. Ein Frauenkopf blinzelte sie an. Er lag auf der Seite neben
einem Körper, dessen Gliedmaßen abgetrennt worden waren. Tote, die jemand
angefangen hatte zu sezieren und unterschiedlich weit damit gekommen war,
hingen' von Haken und langen Eisennägeln an der Wand. Sie schauten sie an, als
sie vorbeiging, sagten jedoch kein Wort.
Der Dullahan blieb vor einem Wesen stehen, das
unwahrscheinlich lange Arme und Beine hatte, einen schmutzigen Kittel trug und
sich über eine Leiche auf einem Tisch beugte. Es drehte den Kopf, als Walküre
näher kam. Zwischen Chirurgenmaske und -haube sah sie ein Stück seiner ölig blassen
Haut. Kleine schwarze Fadenenden ragten aus den durchlöcherten Augenlidern und
seine Pupillen waren klein und gelb.
Es legte das Messer weg, mit dem es in der Leiche
herumgepopelt hatte, und zog die Maske aufs Kinn herunter. Wo die Nase hätte
sein sollen, war nur eine Menge Schorf, und der Mund war wie die Augen einmal
zugenäht gewesen. Jetzt lächelte der Mund und sah aus wie eine offene Wunde.
"Ich hab mich richtig darauf gefreut", verkündete
das Wesen atemlos und mit hoher Stimme. Es war unmöglich zu sagen, ob es
weiblich oder männlich war. "Weißt du, wer ich bin?"
Walküre nickte. "Du heißt Nye." Ihre Stimme klang
in ihren eigenen Ohren merkwürdig.
"So ist es. Ich bin das einzige lebendige Etwas hier.
Weißt du, was das bedeutet?" Nye wartete nicht auf Antwort. "Es
bedeutet, dass ich besser bin als du."
Walküre sagte nichts. Es spielte ja alles keine Rolle.
Nye blickte den Dullahan an und wurde urplötzlich zornesrot.
"Ich weiß, verdammt noch mal. Ich tu's ja. Ich werde
mich daran halten, okay? Ich hab meine Lektion gelernt!"
Allem Anschein nach zufrieden drehte der Dullahan sich um
und ging hinaus.
"Aber nur damit das klar ist", rief Nye ihm nach,
"wenn sie es nicht schafft, bekomme ich das, was übrig ist, ja?"
Der Dullahan ging zügig weiter.
Als er draußen war, richtete der Zwitter sich auf und
straffte die Schultern. Sein Kopf stieß fast an die Lampe, die von der Decke
baumelte. Er sah sie an. "Du bist gekommen, damit dein wahrer Name
versiegelt wird", sagte er. "Das ist nicht einfach. Nur wenige Leute
erfahren jemals, wie ihr wahrer Name lautet, weshalb Leute wie ich nicht oft
die Möglichkeit bekommen, das, was wir tun müssen, zu üben. Was hat die Banshee
dir gesagt?"
"Sie hat gesagt, ich müsste sterben", antwortete
Walküre.
"Was du bereits getan hast." Nye nickte. "Du
bist in der Kutsche gestorben und du bist so lange tot, bis du diesen Ort hier
wieder verlässt und das Leben zu dir zurückkehrt. Hat sie sonst noch etwas
gesagt?"
"Dass du operieren musst."
Wieder dieses Offene-Wunden-Lächeln. "Genau. Es ist
eine heikle Prozedur. Ich muss drei Symbole in dein Herz ritzen und das
unwahrscheinlich genau. Ich würde dich ja fragen, ob du dieses Risiko eingehen
willst, aber es ist mir ehrlich gesagt egal. Tatsache ist, du bist tot und du
bist hier, was deinen freien Willen einigermaßen einschränkt, nicht wahr? Du
bist nicht allzu klar im Kopf. Selbst wenn du deine Meinung jetzt ändern
würdest, würde ich die Operation durchführen und du könntest mich nicht davon
abhalten. Ich habe das seit Jahren nicht mehr gemacht und bin deshalb ein wenig
neugierig, ob ich es schaffe, ohne dich für immer umzubringen. Zieh dich jetzt
bitte aus."
Widerspruch kam Walküre nicht in den Sinn, also tat sie, wie
ihr geheißen, während Nye mit alten Lappen seine Instrumente abwischte und sie
auf einem kleinen Tablett zurechtlegte. Als sie fertig war,
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