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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß

Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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drei Generationen würden die Wörter »Bruder«,
    »Schwester«, »Onkel«, »Tante«, »Vetter« und »Cousine«
    ihren Sinn verlieren. Um die Vettern und Cousinen wäre es nicht weiter schade, und schweigen wir über die Onkel und Tanten, aber ist uns klar, was es heißt, wenn für einen Jungen in der Mitte des nächsten Jahrtausends der Begriff
    »Brüderlichkeit« jeden Sinn verloren hat? Sicher, er wird durch irgendwas anderes ersetzt werden, vielleicht wird man zur Erklärung des Evangeliums sagen, wir sollten einander lieben wie Wohnungsnachbarn oder wie Schul-kameraden oder wie Fahrgäste im selben Bus, aber wird es dasselbe sein?
    Andererseits, welchen Sinn wird Brüderlichkeit für jemanden haben, der fünfzehn Brüder hat und sich über jeden Bissen mit ihnen streitet, vielleicht ohne sie überhaupt zu kennen, da ihn die Eltern ausgesetzt haben in einer Stadt, deren Ressourcen nur für ein Zehntel ihrer Einwoh-165
    ner reichen? In beiden Fällen also, ob durch Mangel oder durch Überfluß, werden in einer übervölkerten Welt die Begriffe »Stamm«, »Sippe«, »Familie« jeden Sinn verlieren.
    Es sei denn, daß die Vorsehung oder die Natur eingreift, um durch rabiate Pestepidemien und/oder einen Dauer-krieg, der großzügige Massaker garantiert, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Was zumindest im Augenblick die offenkundigste und nächstliegende Perspektive zu sein scheint.
    1995
    166
    Chopin contra Derrick?
    Versuchen wir das Unmögliche
    Von Anfang an haben wir für diese Kolumne festgelegt, daß sie nicht an die Aktualität gebunden sein darf. Daher fühle ich mich ermächtigt zu berichten, was mir an jenem fernen Abend des 13. Juni 1995 durch den Kopf ging, als ich die Ergebnisse des Referendums über das Fernsehen hörte. Warum ich das jetzt erst tue und nicht schon damals? Nun, wie jemand bei Hugo Pratt sagte (ein bizarrer Dankali, scheint mir), »weil es mir so gefällt«.
    An jenem Abend dachte ich mir, wenn einem durch-
    schnittlichen Italiener die Frage vorgelegt worden wäre:
    »Hätten Sie es lieber, daß die privaten Fernsehsender einem einzigen gehören, oder daß sie die Standpunkte verschiedener Besitzer ausdrücken?« (statt der Frage des Referendums: ob Berlusconis Fernsehmacht eingeschränkt werden solle, ja oder nein), dann wäre die Antwort klar gewesen: natürlich ja. Aber das Gegenteil ist geschehen.
    Dafür muß es eine Erklärung geben, und es genügt nicht zu sagen, daß für das »Nein« eine so massive Werbung im Fernsehen gemacht worden war. Wenn mit der gleichen massiven Werbung versucht worden wäre, all jene Millionen Italiener zu überreden, am Tag des Referendums eine Stunde Gymnastik zu treiben, dann wäre die Antwort kaum so eindeutig ausgefallen. Der Grund ist, denke ich, daß all jene, die mit Nein gestimmt haben, und der größte Teil derer, die sich enthalten haben, das Fernsehen nicht als politisches Subjekt wahrnehmen. Daß aus dem Kasten auch Nachrichten und Diskussionen kommen, ist für sie nebensächlich; er ist in erster Linie ein elektrisches Haus-167
    haltsgerät, unverzichtbarer und nahrhafter als der Kühlschrank. Und all diesen Italienern war es nun so vorge-kommen, als wollten andere (die Anhänger des »Ja«) einen magischen Kasten, der per definitionem nicht politisch sein kann (sein darf), unerlaubterweise in einen politischen Streit hineinziehen.
    Wenn dem so war, dann liegt auf der Hand, daß sich, je mehr die Propaganda für das Ja politische Gründe ins Feld führte (Freiheit und Meinungsvielfalt, gegen zuviel Kon-zentration usw.), in den Köpfen der Fernsehzuschauer die Idee festsetzte, man wolle die Welt der privaten Gefühle politisieren. Und so hat die Propaganda für das Nein ge-siegt, die sich nicht etwa auf politische Argumente gründete (wie Meinungsfreiheit und andere Vorwände), sondern auf ein einfaches »Nehmt uns nicht das Brot, das wir uns verdienen, indem wir euch unterhalten, und riskiert nicht, daß ihr morgen weniger Fernsehen habt, als wir euch heute geben«.
    Vulgäre Reaktion? Verhalten von Fernsehsüchtigen?
    Oder auch Anzeichen dafür, daß die Bürger wollen, daß man sich auch um die Qualität ihres privaten Lebens kümmert (wobei sie sich allenfalls über den Begriff der Qualität täuschen)? Im übrigen habe auch ich, und zwar genau an jenem selben Abend, das Fernsehen als einen magischen Kasten benutzt. Da ich die Nachricht, die mich interessierte, bekommen hatte und mich die allzu vielen Debatten, die sich über

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