Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß
bitte, Herr Kormoran, setzen Sie sich in Pose, bitte nicht in die Kamera blicken, zupfen Sie sich mit dem Schnabel die Federn zurecht, machen Sie ein betrübtes Gesicht …
Ich: Gibt es denn keine anderen Kormorane auf dem Markt?
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Kormoran: Die Arbeit ist nicht so leicht. Meine Eltern haben dabei ihr Leben verloren. Die sich retten konnten, ziehen es vor, als freie Waldvögel zu leben, und das ist keine Metapher. Sie versuchen, sich anderswo einzuge-wöhnen, in den Hügeln, im Gebirge, aber es ist nicht leicht, dort Fische zu finden, höchstens ab und zu eine Fo-relle. Ich hab schon zu tief dringesteckt, sehen Sie nur, wie verklebt ich bin. Das geht nicht mehr ab, nicht mal mit dieser Flüssigkeit, die so in den Augen brennt. Da konnte ich auch genausogut dieses klebrige Zeug behalten und damit meinen Lebensunterhalt bestreiten. Ich werde gut bezahlt, ich muß nur bereit sein, vor einem Monat war ich in Galizien, das haben Sie sicher gelesen, danach auf den Shetlands, und wer weiß, wohin ich übermorgen muß.
Und angefangen hatte ich noch vor dem Golfkrieg.
Ich: Aber die Bilder von jenem Krieg damals haben Ihren Ruhm und Erfolg begründet.
Kormoran: Ja, damals bin ich entdeckt worden. Vorher haben sie mich zwar aufgenommen, aber dann nicht ge-sendet. Mit dem Golfkrieg ist der Durchbruch gekommen.
Aber es ist sehr anstrengend, jeden Tag auf dem Set, und jedesmal absorbiert man neues Öl, der Organismus ist schon ganz verseucht, man muß schnell einen Batzen Geld verdienen, und dann ist man chronisch krank. Wollen wir hoffen, daß ich eine kleine Insel abseits der Handelsrouten finde, wo ich das bißchen, was mir vom Leben noch
bleibt, in Ruhe verbringen kann.
Ich: Könnte man denn nicht auch eine Möwe, eine Rob-be, einen Pinguin nehmen und sie womöglich einfach mit Schlamm zurechtschminken, mit dem aus den Thermalbä-
dern?
Kormoran: O nein, das ist eine Frage der Professionali-tät. Es heißt ganz zu Recht, wenn Tiere geschminkt werden, verlieren sie ihre Spontaneität. Das ist wie bei den 160
Filmen von Visconti, wenn der Schauspieler von einer Schachtel voller Juwelen sprechen sollte, dann mußten Juwelen in der Schachtel sein, auch wenn sie gar nicht ge-
öffnet wurde, und es mußten Juwelen von Bulgari sein.
Außerdem haben wir Kormorane gerade die richtige Grö-
ße für den Bildschirm, von mir können Sie Nahaufnahmen machen, und man sieht alles. Stellen Sie sich vor, ich wäre ein Elefant, dann ginge es nur mit Totalen.
Ich: Aber wäre es nicht ergiebiger, ein menschliches Wesen zu nehmen, ein Kind, am besten ein noch ganz un-verbrauchtes, eins von denen, die es zu kaufen gibt?
Kormoran: Ich bitte Sie! Menschenkinder rühren doch nicht. Stellen Sie sich vor, ich habe sogar ein Angebot von der Unicef bekommen. Die haben versucht, unterernährte afrikanische Kinder zu zeigen, solche mit Trommelbauch und Fliegen im Gesicht, aber das macht den Leuten bloß Ekel. Sie zappen weiter. Tiere dagegen wecken Mitleids-gefühle.
Ich: Also denken Sie nicht daran, die Ölbranche zu verlassen?
Kormoran: Nein, die Ölbranche hat Zukunft, die Leute brauchen Energie, verseuchte Meere gibt’s zum Glück immer mehr, ich könnte gut allein von auseinanderbre-chenden Tankern und bombardierten Ölquellen leben.
Aber Sie verstehen, wenn man einmal im Fernsehen an-fängt, wollen sie einen überall haben, bei American Ex-press, bei Benetton, im Parlament … das ist eine Spirale.
Nächstes Jahr wollen sie mich benutzen, um die Leute davon abzubringen, an Ferragosto die Autobahn zu nehmen.
Ich: Genügen dafür nicht die Fotos von zermatschten Autos und verkohlten Leichen?
Kormoran: Ich hab’s Ihnen schon gesagt, eine verkohlte Familie bringt wenig. Aber wenn die Familie mit einem Tanklaster zusammenkracht und das Öl auf die Straße 161
läuft und der Kormoran auftaucht und sich das Gefieder verklebt, dann fangen die Leute an, darüber nachzudenken. Was wollen Sie, ich verdiene daran, das ist wahr, aber meine Arbeit ist auch eine Bürgerpflicht, eine Mission.
Die freundliche junge Dame kam und fragte den Kormoran, ob er einen Whisky wünsche, doch er lehnte ab.
»Vielleicht habe ich mich bloß noch nicht daran ge-wöhnt«, sagte er, »aber für mich schmeckt er immer nach Öl.« Sein Flug wurde aufgerufen. Er watschelte gesenkten Hauptes davon, eine schimmernde Ölspur auf dem blan-ken Parkett hinterlassend und immer in Gefahr, darauf auszurutschen. Ein letztes Mal blickte er zurück. »Danke«, rief
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