Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß
sie anschlossen, langweilten, sah ich mich in anderen Kanälen um und stieß auf das Dritte Programm der RAI, wo Roman Vlad gerade des verstor-benen Arturo Benedetti Michelangeli gedachte. Er erklär-te, wie Michelangeli Chopins Ballade Nr. 1 g-Moll spielte, führte einzelne Abschnitte vor und kommentierte sie, zeigte, worin sich Michelangelis Interpretation von der eines mittelmäßigen Pianisten unterschied – und schon diese 168
wenigen Ausschnitte versetzten mich zurück in die Zeit, in der ich, sechzehnjährig, von Chopin verzaubert war. Danach kam eine alte Schwarzweiß-Aufzeichnung von einer Darbietung der Ballade durch Michelangeli, und ich verlor mich in Chopin.
Während Italien über die Ergebnisse des Referendums diskutierte, ließ ich mich von der absoluten Vollendung jener Ballade ergreifen. Ich nahm an einem Ritus der Schönheit teil, während mein Land einer Täuschung zum Opfer fiel. Und doch erschienen mir alle Vulgaritäten, die mich in den Tagen zuvor geärgert hatten, ja das Fernsehen selbst als Vehikel der Rohheit, gleichsam erlöst: Durchs Fernsehen (ich weiß nicht, ob im Kontakt mit dem Absoluten oder mit der Erinnerung, aber die beiden Instanzen fallen ja bekanntlich oft zusammen – wer war’s doch gleich, der sich schmachtend nach einem kleinen Motiv von Vinteuil verzehrte?) zog ich mich in jenen Bereich zu-rück, in dem das Private und das Allgemeine sich oft ge-fährlich vermischen.
Widersprach das nicht allem, was uns beigebracht worden war – sowohl der Pflicht, sich die Hände schmutzig zu machen im Kampf für unsere Überzeugungen, wie der
Notwendigkeit, für eine bessere Welt auf dieser Erde zu kämpfen, wie auch dem Verbot, ein Gespräch über Bäume zu führen, wenn es ein Schweigen über so viel Leiden einschließt? War ich im Begriff, alle meine moralischen Prinzipien wegen Chopin aufzugeben?
So kam es, daß ich mich fragte, ob es in der steigenden Flut von Vulgarität nicht ab und zu eine »politische« Tat sein könnte, auch die Rechte der Schönheit zu verteidigen.
Im Wissen, daß sie auf lange Sicht ohnehin siegen wird.
Vielleicht müssen wir auch dafür kämpfen, die Rechte einer umfassenden Erziehung zu verteidigen, welche die alten Griechen Paideia nannten. Vielleicht müssen wir den 169
anderen in positivo eine Welt vorschlagen, in der jeder das Recht auf seine eigene Privatheit hat, aber auf eine durch Erziehung geformte, geadelte, noble Privatheit. Und vielleicht müssen wir ihnen zeigen, daß es diese Welt wirklich gibt und daß sie auch auf dem Fernsehbildschirm leben kann. Es wird sicher ein langer und schwieriger Kampf sein, der in den Schulen, in den Stadtvierteln, auf den Straßen und Plätzen durchgekämpft werden muß, mit der Härte – um es mal so zu sagen – der Marxisten-Leninisten vergangener Zeiten (oder derer, die sich heute für Derrick schlagen). Chopin contra Derrick? Lohnt es sich am Ende, noch einmal das Unmögliche zu verlangen?
1995
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Wie man sich heiter auf den Tod
vorbereiten kann
Ich bin mir nicht sicher, ob ich damit etwas Originelles sage, aber eines der größten Probleme des menschlichen Daseins ist, wie man sich auf den Tod vorbereitet. Ein schwieriges Problem für die Nichtgläubigen (wie begegne ich dem absoluten Nichts, das uns nach dem Tod erwartet?), aber den Statistiken zufolge treibt es auch viele Gläubige um, die überzeugt sind, daß es ein Leben nach dem Tod gibt, und die gleichwohl das Leben vor dem Tod so angenehm finden, daß sie es nur ungern verlassen; weshalb sie sich zwar danach sehnen, in den Chor der Engel aufgenommen zu werden, aber erst möglichst spät.
Ich denke, es liegt auf der Hand, daß ich hier das Problem anspreche, was es bedeutet, »zum Tode« zu leben oder auch nur anzuerkennen, daß alle Menschen sterblich sind. Die Antwort scheint leicht zu sein, solange sie So-krates betrifft, aber sie wird schwierig, sobald wir selbst betroffen sind. Und am schwierigsten wird der Moment sein, in dem wir uns klarmachen, daß wir für einen Augenblick noch da sind und einen Augenblick später nicht mehr dasein werden.
Ein nachdenklicher Schüler (ein gewisser Kriton) fragte mich kürzlich: »Meister, wie kann man sich gut auf den Tod vorbereiten?« Ich antwortete ihm, daß die einzige Art und Weise, gefaßt dem Tod entgegenzugehen, darin bestehe, sich zu überzeugen, daß alle anderen Trottel und Blödmänner sind.
Auf sein Erstaunen erklärte ich ihm, was ich meine.
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»Schau«, sagte ich,
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