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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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gibt? Im Spätabendprogramm, nach den Nachrichten. Die bringen eine Sondersendung.«
    »
Was?
Darüber hat mich niemand informiert. Haben Sie mit Ken gesprochen?«
    Ken Mather war der örtliche Polizeipressesprecher.
    »Ja, aber der weiß auch nichts davon. Ist alles heimlich gelaufen.«
    »Verdammt noch mal. Wie haben Sie es erfahren?«
    »Em hat die Vorschau gesehen. Um halb elf fängt es an.«
     
    Simon überlegte, den Chief Constable anzurufen, entschied sich aber dagegen. Die Sendung war hinter ihrem Rücken vereinbart worden, konnte der Polizei nicht angelastet werden und fiel nicht in ihren Verantwortungsbereich, daher brauchte sich Simon für nichts zu entschuldigen. Er war verärgert über Marilyn Angus und verstand sie nicht. Wenn sie meinte, ein weiterer öffentlicher Aufruf wegen David sei nötig, hätte sie zu ihnen kommen sollen, aber nachdem sie sich weigerte, eine Verbindungsbeamtin bei sich zu haben, war es schwierig, mit allem, was sie dachte und tat, Schritt zu halten. Er kochte seine Nudeln, öffnete ein Glas Tomatensoße, rieb Parmesan über alles und schenkte sich ein Glas Wein ein. Während er am Küchentisch aß, klingelte sein Festnetztelefon. Er zögerte und beschloss dann, es dem Anrufbeantworter zu überlassen.
    Um halb elf schaltete er den Fernseher an.
    Die Moderatorin war eine gepflegte junge Frau in einem Nadelstreifenanzug mit langen blonden Haaren und dem üblichen mitfühlenden Gesichtsausdruck der Medienleute.
    »Vor drei Wochen küsste Marilyn Angus ihren neunjährigen Sohn David zum Abschied in der Auffahrt ihres geräumigen Hauses in der idyllischen Kathedralenstadt Lafferton.
    Seit diesem Morgen wird David vermisst. Niemand hat ihn gesehen, niemand hat sich mit irgendwelchen Informationen gemeldet. Die Polizei hat ganz Lafferton und Umgebung abgesucht. Im Fluss und im Kanal wurden Schleppnetze und Taucher eingesetzt, die nahe gelegenen Hügel und Moore durchkämmt. Aber keine Spur von David. Es ist, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Letzte Woche schien es eine Entwicklung zu geben. In einem Grab in einer tiefen und einsamen Schlucht wurde eine Leiche gefunden. Es waren die Überreste eines Mädchens, acht bis zehn Jahre alt.
    Heute Nachmittag kam Marilyn Angus in unser Nachrichtenstudio und sprach mit unserer Sonderreporterin Lorna Macintyre. Sie tat das, weil sie verzweifelt auf Nachrichten über ihren Sohn wartet und meint, dass nicht genug unternommen worden ist, um herauszufinden, was mit David passiert ist – wohin er an jenem Dienstagmorgen verschwand, mit wem und warum. Sehen Sie jetzt dieses Interview.«
    Im Studiohintergrund hing das stark vergrößerte Foto von David Angus. Marilyn war so plaziert, dass sein Gesicht, leicht rechts von ihr, ständig im Bild blieb, wenn die Kamera auf ihres gerichtet war. Sie trug einen schwarzen Rock, eine Bluse und eine einreihige Perlenkette. Ihr Gesicht war eingefallen, ihre Augen lagen in tiefen Höhlen, aber mit einem wilden Blick, genauso, wie Simon sie beim letzten Mal gesehen hatte. Ihre Hände lagen verschränkt in ihrem Schoß, und sie bewegte ständig die Finger, rieb sie, faltete sie, zog sie wieder auseinander.
    Die junge Frau, die das Interview führte, gab die ebenfalls üblichen, mitfühlenden Plattitüden von sich. Es war unfair, sie als unaufrichtig abzutun, und doch klangen sie so.
    »Mrs. Angus, darf ich Sie als Erstes fragen, wie es Ihnen gelingt, mit alldem fertig zu werden? Natürlich kann sich niemand vorstellen, welche Gefühle Sie haben, was Sie durchmachen, aber vielleicht können Sie uns erzählen, wie Sie versuchen, durch den Tag zu kommen?«
    Darauf folgte ein schrecklicher, langer Augenblick des Schweigens. Es schien, als könnte Marilyn Angus nicht weitermachen, aber dann sagte sie mit leiser Stimme: »Mit Entschlossenheit. Ich bin entschlossen herauszufinden, was mit David passiert ist. Entschlossen, dafür zu sorgen, dass er gefunden wird und derjenige, der ihn entführt hat und festhält, vor Gericht gebracht wird. Das ist das Einzige, was mich weitermachen lässt.«
    »Das ist eine tapfere Aussage … Und offensichtlich
sind
Sie entschlossen. Finden Sie dabei viel Unterstützung?«
    »Ich unterstütze mich selbst. Das muss man. Nachbarn, Arbeitskollegen … Leute rufen an, besuchen mich. Sie haben sich großartig verhalten. Aber letztlich bin ich auf mich selbst gestellt.«
    »Zusammen mit Ihrem anderen Kind, natürlich … Ihrer Tochter Lucy.«
    »Ja, doch ich kann nichts davon auf ihre

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