Des Abends eisige Stille
Schultern abladen.«
»Wie alt ist sie?«
»Erst zwölf.«
»Nun hat auch noch Ihr Mann Alan anscheinend Selbstmord begangen. Das muss doch ein weiterer verheerender Schlag …«
Marilyn unterbrach sie. »Das war seine Art, damit fertig zu werden. Er hat sich abgesetzt. Er konnte es nicht mehr ertragen.«
»Ich verstehe.« Lorna Macintyre sah auf ihre Notizen. Sie wirkte leicht verlegen. »Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen auch auf andere Weise geholfen wurde … durch die Woge öffentlichen Mitgefühls, durch Ihre eigene Gemeinschaft in Lafferton und die Hilfe aller, durch die Polizei …«
»Die Polizei tut ihre Arbeit, aber das ist alles.«
»Wie bitte?«
»Sie hat ihn noch nicht gefunden, oder?« Marilyns Stimme wurde schrill. »Sie hat keine Spur von David gefunden, sie hat keine Ahnung, was passiert ist, und sie scheint zugelassen zu haben, dass die Fährte kalt wird.«
»Empfinden Sie das so? Dass von der Polizei nicht genug getan wurde, um Ihren Sohn aufzuspüren?«
»Ich glaube, es wurde eine Menge getan – am Anfang waren sie sehr aktiv, ganze Horden von Beamten haben mein Haus durchkämmt, eine Stunde, nachdem ich David als vermisst gemeldet hatte. Doch jetzt kann ich nicht mehr so viele Anzeichen drängender Aktivitäten sehen. Vielleicht urteile ich zu hart.«
»Wie ich verstanden habe, hatten Sie eine Polizistin, eine Verbindungsbeamtin bei sich wohnen, die Sie jedoch gebeten haben zu gehen, ist das richtig?«
»Ich möchte nicht, dass jemand glaubt, ich hätte etwas gegen sie – DC Marshall – persönlich gehabt, sie ist nett. Aber eine Polizistin bei sich wohnen zu haben, ist eine Aufdringlichkeit, wenn man versucht, mit so etwas fertig zu werden. Wir sind – ich bin – sehr zurückhaltend und brauche meine Privatsphäre. Mir hat das nicht gefallen. Außerdem … nun ja, sie arbeitet für die Polizei und ist zuallererst ihr gegenüber in der Verantwortung. Ich weiß nicht, ob das den Leuten klar ist … Vielleicht denken sie, eine Verbindungsbeamtin ist da, um der Familie zu helfen und auf deren Seite zu stehen, was allerdings nicht der Fall ist. Man hat nie das Gefühl, eine Verbindungsbeamtin auf seiner Seite zu haben, wissen Sie. Im Wesentlichen steht man unter Verdacht, und sie sind Spione. Tut mir leid, wenn das hart klingt.«
»Ich weiß, dass es eine schwierige Frage für Sie ist, aber haben Sie eine Ahnung, irgendeine, was mit David passiert sein könnte, wo er sein könnte?«
»Ich wünschte bei Gott, die hätte ich. Aber nein, natürlich habe ich die nicht. Ich habe keine Ahnung. Welchen erdenklichen Grund sollte jemand haben, einen kleinen Jungen vor seinem eigenen Haus am helllichten Tag zu entführen?«
»Und haben Sie irgendwas zu sagen, einen Aufruf, den Sie machen möchten?«
»Ja.«
Marilyn Angus blickte direkt in die Kamera. Ihre Augen waren wieder wild, ihre Hände arbeiteten. »Wenn Sie wissen, wo David ist … Wenn Sie David festhalten … Bitte, bitte denken Sie genau darüber nach, was Sie tun. Stellen Sie sich vor, wie es für mich ist … für seine Familie. Sein Vater ist bereits daran gestorben. Können Sie damit leben? Können Sie das? Lassen Sie David gehen. Bringen Sie ihn nach Hause. Rufen Sie die Polizei an, und bringen Sie die Sache zu einem Ende. Ich flehe Sie an. Und wenn jemandem irgendeine Kleinigkeit einfällt, die er gehört oder gesehen hat … die etwas mit Davids Verschwinden zu tun haben könnte … Egal, wo Sie leben, egal, wer Sie sind … Bitte melden Sie sich. Bitte. Ich hab das Kostbarste auf der Welt verloren, und diese Qual ist …« Sie verstummte und wandte den Kopf von der Kamera ab.
Sofort füllte sich der Bildschirm mit dem Foto von David, dem klugen, wachen, intelligenten David, dem Foto, das jeder im Land inzwischen so gut kannte. Simon schaltete den Fernseher aus und ging zum Telefon. Er war sich unsicher, ob er den Pressesprecher oder den Chief anrufen sollte, und während er noch zögerte, klingelte es.
»Simon? Paula Devenish.«
»Ma’am. Ich nehme an, Sie haben das Interview gesehen?«
»Ja, und ich bin sehr ärgerlich – nicht auf Sie, auf Marilyn Angus, auf die unverantwortlichen Medien. Lassen Sie mich wiederholen, was ich gesagt habe, als ich bei Ihnen auf dem Revier war – Sie wissen, dass ich auf Ihrer Seite stehe, und jetzt noch mehr. Ich bin absolut sicher, dass Sie immer noch Ihr Allermöglichstes tun … Sie alle. Damit das klar ist.«
»Vielen Dank, Ma’am.
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