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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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sie schwanger war. Sie hatte Pickel am Kinn, und ihre Haaransätze wuchsen heraus, dunkelbraun in einer erdigen Furche entlang dem Weizenblond.
    Er trank seinen Tee. Aß den Toast. Pete häufte Eigelb, Würstchen und Bohnen auf seine Gabel und stopfte sie seitlich in den Mund. Ein Klecks Eigelb fiel auf sein Unterhemd.
    »Wisch’s weg«, knurrte Michelle und warf einen Lappen in seine Richtung.
    Andy sah sich um. Schlagartig hatte er genug. Er hätte es keine weitere Nacht ertragen und stand auf. »Na denn«, sagte er.
    Er hatte wenig zu tragen und ließ ein paar Sachen zurück. Alles passte leicht in die Reisetasche. Zwanzig Minuten später war er aus der Tür, ohne ein weiteres Wort zu ihnen zu sagen. Es war sonnig. Narzissen blühten an den Rändern der Wohnblöcke und in den Vorgärten. Es war mild. Die Luft roch nach Frühling.
    »Das ist gut«, sagte er zu sich. »Gut.«
    Er überlegte, wie es im Gemüsegarten des Gefängnisses wohl aussah. Am Anfang war es ein Gefühl wie eine erneute Freilassung. Das lag teilweise am Frühling und teilweise daran, sich nie wieder auf dem Feldbett in Matts stinkigem Zimmer zusammenkrümmen oder seinem Schwager beim Eieressen zuschauen zu müssen. Aber da war noch mehr, ein seltsames Gefühl, neu geboren worden zu sein, aus einem Tunnel aufzutauchen, an dessen Ende er schon vor Monaten zu sein geglaubt hatte, der aber einen zusätzlichen Seitengang besaß.
    Pfeifend marschierte er zum Stadtrand und bog dann auf den Pfad zum Hügel ein. Ein paar Leute führten ihre Hunde aus, zwei Mütter mit Kleinkindern mühten sich den grasigen Hang zur Kuppe hinauf, lachten im milden Wind.
    Andy stieg langsam, und als er die Wernsteine erreichte, setzte er sich und lehnte sich gegen einen davon. Er fühlte sich noch immer kaputt von dem Aufprall gegen den Kleinbus. Die Sonne strich ihm übers Gesicht. Er schaute hinab über Lafferton. König. Das hatten sie gespielt, als sie Kinder waren. König der Wernsteine.
    Er hatte die Geschichten über die Morde vom letzten Jahr gehört, die auf dem Hügel passiert waren, spürte aber keine Verbindung dazu; damals hatte er gesessen, und das hier war eine andere Welt gewesen.
    Er blieb eine halbe Stunde, bis die Sonne hinter den Wolken verschwand und ihm der an die uralten Steine gelehnte Rücken weh tat. Die Mütter mit den Kleinkindern waren verschwunden.
    Andy stand auf. Er sollte gehen. Aber wohin? Wahrscheinlich in die Stadt und zu seiner Bewährungshelferin. Musste sie ihm nicht einen Schlafplatz besorgen? Er dachte an Lee Carter. Der hatte ein ganzes Haus voller Schlafplätze.
     
    Stattdessen ging er zu Dino’s. Das Café war voll von morgendlichen Einkäufern, und die Espressomaschine machte Überstunden. Andy fand einen Tisch in der Nähe des Tresens. Alfredo winkte ihm zu, Handtuch über dem Arm, Schweiß auf der Stirn. Kurz darauf schob er eine Tasse Tee und zwei Scheiben Toast über den Tresen und rief Andys Namen.
    Menschen drängten herein, und nach einer Weile öffnete sich nur noch die Tür, die Leute sahen, dass es voll war, und gingen wieder. Es war warm und laut.
    Als jemand eine Zeitung liegen ließ, holte Andy sie sich. Er schlug die Sportseite auf und trank seinen Tee nur schluckweise, damit er länger davon hatte.
    Um halb zwei kam er für ein Sandwich zurück, nachdem er durch die Straßen geschlendert war, seine Bewährungshelferin nicht angetroffen und eine halbe Stunde lang auf einer Bank gesessen hatte. Das ist es dann wohl, dachte er, Bänke, Türeingänge. Ich bin ein Penner. Mehr bleibt mir nicht.
    Um zehn nach vier war er wieder bei Dino’s. Jetzt war es endlich ruhig, nur zwei sich über nichts streitende Schuljungen und eine Frau, die langsam ein getoastetes Scone verzehrte.
    »Okay, Andy, was ist los?«
    »Wie meinst du das?«
    »Du warst heute schon drei- oder viermal da und hängst hier rum – wie wir früher rumhingen.« Fredo deutete auf die Jungs, die ihre Schultaschen aufhoben und sich im Gehen gegenseitig auf den Bürgersteig schubsten. »Hatte deine Michelle genug von dir?«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Ich hab doch schon ja gesagt.«
    »Okay, okay. Willst du Tee, Kaffee, einen Milchshake, Cola …«
    »Ich sag dir was … Wie hieß das noch, was wir immer hatten? Coke-float. Als Erinnerung.«
    »Du willst dich erinnern? … Willst du wirklich ein Coke-float?«
    »Gut, dann Tee.«
    »Du willst also kein Coke-float, aber vielleicht willst du einen Job?«
    Andy nahm den Tee und blieb damit am Tresen stehen.

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