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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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gefahren, wo ein Gottesdienst mit Abendmahl stattfand. Ihr Glaube war ihr Garant für geistige Gesundheit, gab ihr die Hingabe und Kraft, ihren Beruf auszuüben. Sie wusste nicht, wie Chris ohne Glauben auskam, oder ihr Bruder, der das Team bei der Suche nach dem vermissten Kind leitete. Sie hätte keinen Tag durchgestanden, ohne nicht wenigstens flüchtig in Verbindung mit ihrem Glauben zu sein.
    Nach dem Aufruf des Ehepaars Angus für ihren Sohn hatte sich der Bildschirm mit seinem Gesicht gefüllt, einem kleinen, ernsten, bleichen, neunjährigen Gesicht, ein Gesicht, das jedem im Land so vertraut werden würde wie das ihres nächsten Verwandten, ihres eigenen Kindes, ihres Nachbarn, der Königin, jedes Gesicht, das sie vor sich hatten, wenn sie die Augen schlossen. David Angus. Das Gesicht würde auf Plakaten in jedem Schaufenster und auf jedem Anschlagbrett in Lafferton hängen, in jedem Bahnhof, an jeder Bushaltestelle, jeder Tankstelle.
    Cat senkte den Kopf und weinte.
     
    Im Dezernatsbüro rieb sich Nathan die Augen, überanstrengt vom Durchsuchen der Computerdateien. Es war halb acht, und das Büro war voll. Von anderen Dienststellen waren Beamte angefordert, ein weiterer Raum war mit Computern ausgestattet worden, um die Strafregister bekannter Pädophiler, Autolisten, Aussagen, Beschreibungen, Details forensischer Beweise aus anderen Fällen entführter oder belästigter Kinder zu durchforsten. Das Kantinenpersonal hatte Überstunden gemacht, andere hatten ihre Freizeit abgebrochen, die Streifenpolizei war ebenfalls durch Beamte von außen verstärkt worden … Nathan sah sich im Raum um. In einer Minute würde er sich ein Sandwich und einen Becher Tee holen und dann schauen, ob er nicht nach draußen konnte, sogar für Haus-zu-Haus-Befragungen … Alles, nur kein weiteres stundenlanges Starren auf den Bildschirm.
    Die Atmosphäre im Dezernatsbüro hat sich verändert, dachte er. So war es seit letztem Jahr nicht mehr gewesen, seit der Jagd nach Freyas Mörder. Die Spannung zog sich wie ein unsichtbares Stromkabel durch den Raum. Nichts von dem üblichen Geplänkel, keine Witze, kein Smalltalk. Alle Aufmerksamkeit war auf das vermisste Kind gerichtet.
    Sie
wollten
David Angus finden. Keiner sprach davon, dass er tot sein könnte, obwohl mit jeder verstreichenden Stunde die Möglichkeit wie ein hässlicher Pilz anschwoll, sich in ihren Köpfen festsetzte, seine Sporen ausstreute. Den Jungen zu finden und denjenigen, der ihn entführt hatte – das war alles, worauf es ankam. Alles andere, kleine Einbrüche, Diebstähle von Autoradios, Trunkenheit und Ruhestörung, wurde zur Nebensache.
    Nathan war bei der Fernsehaufzeichnung dabei gewesen und hatte geschworen, so lange ohne Pause im Dienst zu bleiben, bis der Junge gefunden wurde. Die Gesichter der Eltern, das Versagen ihrer Stimmen, ihre seltsam ruckhaften Bewegungen, ihre Augen … Er sah sie jetzt vor sich, hörte sie, während er in die Kantine hinunterging. An der Wand, im Flur und an der Tür hingen die Plakate von David Angus. Nathan blickte in das junge Gesicht. Das Gesicht blickte zurück, ernst, immer noch ein Kindergesicht, weich und rund.
    Nathan wollte seinen Tee mit nach oben nehmen. Die Kantine war voll, und er wollte keine Zeit mit Geplauder verschwenden. Aber keiner plauderte, alle schaufelten das Essen in sich hinein, weil sie sich vor dem Weitermachen stärken mussten, keiner dehnte die Pause aus, hänselte die anderen, rauchte eine rasche Zigarette.
    »Nathan, ich hab Sie gesucht. In mein Büro.«
    Der DCI beugte sich über das Geländer, Nathan rannte los und zog eine dünne Spur verschütteten Tees hinter sich her.
     
    »Wir haben einen Bericht über einen Jaguar XKV bekommen, der zweimal langsam den Sorrel Drive entlanggefahren ist. Einmal letzte Woche, und dann noch einmal vorgestern. Eine Frau in Nummer 10 – ein Stück weiter oben vom Haus der Angus’ – hat uns angerufen, nachdem sie die Nachrichten gesehen hat.«
    »Was meint sie mit ›langsam entlanggefahren‹?«
    »Ihre Worte. Als hätte der Fahrer nach einem Haus gesucht, zuerst auf der einen Seite, dann auf der anderen. Dann noch mal. Dasselbe Auto, dieselbe Vorgehensweise.«
    »Farbe?«
    »Silber.«
    »Hat sie die Nummer?«
    »Ja.«
    »Himmel. Die Art Zeugin, die man immer braucht, aber nie kriegt.«
    »Genau. Das Auto gehört jemandem namens Cornhill. Leon Cornhill. Wohnt in Bindley. Ich will, dass Sie hinfahren.«
    »Was halten Sie davon, Chef?«
    »Nichts,

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