Des Abends eisige Stille
bis Sie dort gewesen sind.«
»Sonst noch was?«
»Hunderte von Anrufen seit dem Aufruf. Wird alles überprüft, aber bisher hat ihn keiner gesehen. Der Junge hat sich einfach in Luft aufgelöst.«
»Jemand muss ihn haben.«
»Wir waren in jedem Haus in der gesamten Nachbarschaft. Die Leute wollen helfen. Aber bisher nicht das geringste Ergebnis. In den Schulen herrscht völliges Chaos, verängstigte Eltern, Kinder, die eine halbe Geschichte hören und den Rest dazuerfinden.«
»Was machen Davids Eltern?«
»Sind zu Hause, haben ja noch ein weiteres Kind. Die Verbindungsbeamtin ist bei ihnen.«
»Tee kochen. Tee trinken. Nachrichten schauen. Nichts essen. Nicht schlafen. Immer wieder durchleben, was an dem Morgen passiert ist. Mit schmerzendem Kopf. Die armen Leute.«
»Wir bekommen jede Menge Hilfe, Infos treffen aus dem ganzen Land ein …« Serrailler verstummte, dachte nach. Nathan wartete.
»Ich glaube nicht, dass er Hunderte Meilen entfernt ist. Weiß nicht, warum. Ich glaube, er ist hier in der Gegend.«
»Das sind sie meistens.«
»Ich weiß.«
Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Simon nahm ab.
»Serrailler. Ja?« Er hielt die Hand hoch, um Nathan aufzuhalten, der bereits an der Tür war. »Ach ja? Wann? Okay, ist niemandes Schuld. Schicken Sie jemanden hin. Lassen Sie eine Aussage aufnehmen.«
»Chef?«
»Dieser Cornhill hat seinen Jaguar XKV vor zehn Tagen als gestohlen gemeldet. Er war geschäftlich unterwegs, hat sich mit einem Firmenwagen zum Flugplatz fahren lassen, sein Auto stand in der Garage. Nach seiner Rückkehr war es verschwunden. Anscheinend saubere Arbeit, geschickter Einbruch, nicht viel zerstört, nur mit dem Brecheisen seitlich die Garagentür aufgestemmt. Niemand hat was gesehen oder gehört.«
»Also war es nicht Cornhill?«
»Offensichtlich.«
Einer der Beamten, der die Dateien durchforschte, stieß auf einen Mann aus der Dulcie-Siedlung, der innerhalb der letzten sechs Monate in das Pädophilenregister eingetragen worden war. Serrailler schaute sich gerade den Ausdruck an, als Nathan hereinkam.
»Brent Parker, siebenundvierzig, Verurteilungen wegen Belästigung junger Mädchen, zwei Gefängnisstrafen, keine anderen Vergehen aktenkundig … Letzte Entlassung aus Baldney vor achtzehn Monaten … Maud Morrison Walk 15, Dulcie … Geschieden, eine erwachsene Tochter, die nicht mehr bei ihm wohnt. Arbeitslos, bis auf Gelegenheitsarbeiten, hauptsächlich für die Gemeinde … Hat zwölf Monate lang eine Therapie in Baldney gemacht und erneut als ambulanter Patient der psychiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Bevham …« Er reichte Nathan das Blatt.
Wie konnte man behaupten, dass er einen bösartigen Gesichtsausdruck hatte? Wie konnte man behaupten, dass der Mann wie ein Pädophiler aussah? Wenn er Brent Parkers Vorgeschichte nicht gekannt hätte, wie hätte Nathan ihn dann eingeschätzt – als Pädophilen? Als brutalen Schläger? Betrüger? Müllmann? Richter des Obersten Gerichtshofs? Er starrte das Gesicht an, versuchte, den Kopf freizubekommen und seine Vorurteile auszuschalten.
Brent sah älter aus als siebenundvierzig – mindestens zehn Jahre. Er hatte ein weiches, schwammiges Gesicht, Fleischfalten unter den Augen und Hängebacken. Kleine, verschwiemelte Augen, die den Ausdruck verbargen. Buschige Brauen. Wenig Kinn. Selbstzufrieden, fand Nathan – ja, Brent Parker sah aus, als wäre er mit sich im Reinen. Das Gesicht eines Mannes, der seinen Neigungen frönte, vermutlich beim Alkohol ebenso wie beim Sex.
Ein abstoßendes Gesicht.
Wie kann man das behaupten? Woher will man das wissen? Wenn es das Gesicht des Mannes war, der zum nächsten Papst gewählt werden würde, was würde man dann sagen? Was würde man dann in die fleischigen Falten und den hochmütigen Mund hineindeuten?
»Mir gefällt sein Ausdruck nicht.«
»Passen Sie auf, was Sie sagen. Kein Kriminologe nimmt das Studium der Physiognomie heutzutage noch ernst. Ich würde aber gern eine Handschriftenprobe von ihm sehen.«
Nathan blinzelte.
»Ich hab mich über Graphologie immer lustig gemacht, also hat man mich auf eine Fortbildung geschickt. Gut, fahren Sie hin. Wenn er da ist, nehmen Sie ihn in die Mangel, und falls Sie nicht hundertprozentig zufrieden sind mit jedem Wort, das er von sich gibt, dann will ich, dass er aufs Revier gebracht wird. Wenn er nicht da ist, finden Sie ihn. Nehmen Sie jemanden mit, der frei ist.«
»Chef?«
»Was ist?«
»Ich weiß
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