Des Abends eisige Stille
zweifellos morgen wieder bei sich aufnehmen, aber die Entwarnung aus dem Krankenhaus hatte sie gestärkt und ihre Stimmung enorm gehoben. Sie hatte geweint, sie hatte geredet, sie hatte sich selbst und Mike die Schuld gegeben. Sie hatte ihre Ehe auseinandergenommen und war jeden Vorfall, jede Unterhaltung der letzten paar Monate durchgegangen, um verstehen zu können, was falsch gelaufen war und warum, wessen Verschulden es gewesen war, ob sie sich anders verhalten, dieses nicht hätte sagen oder jenes nicht hätte tun sollen. Cat, in ihrem momentanen trägen Zustand, war froh gewesen, ihr das Ohr zu leihen und gelegentlich ein tröstendes Wort oder einen Rat einzuwerfen. Doch am Ende der zwei Tage war Karin aufgestanden, hatte sich die Haare gewaschen und frisiert, sich sorgfältig geschminkt, ihre Tasche gepackt und war mit hocherhobenem Kopf nach Hause gefahren. »Ich sehe nach oben«, waren ihre letzten Worte zu Cat gewesen, als Karin sie an der Tür umarmt hatte, »nach oben und nach vorn.«
Cat zuckte zusammen, als sie sich mit dem Schälmesser in den Zeigefinger schnitt. Sie war voller Bewunderung gewesen. Rasch drückte sie ein Stück sauberes Küchenpapier gegen den kleinen Schnitt. Er blutete kaum.
Sie würde sich die Sechs-Uhr-Nachrichten nicht ansehen.
Hinter Mephisto, dem roten Kater, knallte die Katzenklappe zu und ließ Cat zusammenschrecken.
Langsam und schwerfällig erhob sie sich und ging ins Fernsehzimmer.
Kaum zehn Minuten später kehrte sie in die Küche und ans Telefon zurück.
»Alles in Ordnung?«
»Ich hab gerade die Nachrichten gesehen … Die Angus’ haben einen Aufruf …«
»Oh, Liebling, das hättest du dir nicht anschauen sollen.«
»Ich weiß.« Cat zog die Küchenrolle zu sich heran und riss einen langen Streifen ab.
»Wie schien es ihnen zu gehen? Nein, vergiss es, dumme Frage.«
Im Hintergrund hörte Cat die Geräusche des Geburtstagsfestes bei ihrer Schwägerin. »Wo bist du?«
»Im Flur. Es ist ein Tollhaus.«
»Sie sahen so furchtbar aus. Ich habe Alan kaum erkannt. Er wirkte wie eine wandelnde Leiche … wie siebzig, nicht fünfundvierzig. In seinen Augen war so ein schrecklicher Ausdruck – und in ihren … irgendwie wild und doch … ich weiß nicht … als wären sie bis zur Unerträglichkeit geschlagen und gefoltert worden … aber gleichzeitig irgendwie überdreht, weißt du? Er zuckte ständig … sein Mund, seine Hände … Gott, sie taten mir so leid. Ich wünschte, ich könnte mit Si sprechen, aber der wird unerreichbar sein. Ich wollte deine Stimme hören.«
»Ich bin hier, und es geht den beiden gut. Und wir werden nicht länger bleiben, als wir müssen.«
»Dreh nicht durch, fahr vorsichtig, Chris, ich …«
»Das tu ich immer.«
»Ich weiß. Ich bin auch durcheinander.«
»Kann nicht jemand zu dir kommen? Vielleicht Karin.«
»Nein, das ist es nicht. Das würde nichts ändern. Ich hätte mir die Nachrichten nicht anschauen sollen. Ich krieg sie nicht aus dem Kopf … Chris, wo ist er, was passiert mit ihm?«
»Ich weiß es nicht. Aber die halbe Polizei der Grafschaft sucht nach ihm. Des ganzen Landes, im Übrigen.«
»Das kannst du nicht wissen. Das heißt noch nicht, dass sie ihn finden.«
»Cat …«
»Entschuldige.«
»Trink etwas. Kann in dem Stadium auch nichts mehr schaden.«
»Dann wird mir schlecht.«
»Eine Tasse Tee …«
»Was macht Sam?«
»Warte, ich schau mal. Er sitzt auf dem Boden mit einer braunen Papiertüte auf dem Kopf. Frag mich nicht.«
»In Ordnung.«
»Schau dir einen blöden Film an. Die DVD von
Das Büro
.«
»Ich hatte eher an
Carry on Doctor
gedacht.«
»Ich liebe dich.«
Cat legte auf und ging zurück ins Fernsehzimmer. Es war erstaunlich aufgeräumt. Die Kinder waren seit dem gestrigen Abend nicht mehr hier drinnen gewesen, und Cats Haushaltshilfe hatte das Zimmer gründlich geputzt. Cat ging wieder hinaus, die Treppe hinauf, zog die Vorhänge in den Kinderzimmern zu, öffnete eine Schranktür und betrachtete die Stapel neuer Babykleidung. Wartete.
Wartete.
Sie kehrte in die Küche zurück.
Die Gesichter von Alan und Marilyn Angus waren vor ihren Augen und in ihrem Hinterkopf, schauten von der Decke auf sie hinunter und vom Boden zu ihr auf. Cat stützte die Arme auf ihren Bauch. »Lieber Gott, hilf ihnen, ihn zu finden. Mach, dass er in Sicherheit ist. Gib ihnen Kraft.«
Wenn sie nicht hochschwanger gewesen wäre und daher beim Autofahren gefährdet, wäre sie in die Kathedrale
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