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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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sie die Milch warm machte. »Warum ist er mit dem Mann mitgegangen?«
    »Welchem Mann?«
    »Dem Mann, der ihn ermordet hat. Jeder weiß doch, dass man nicht mit einem Mann mitgeht, der einen ermorden will, jeder weiß das.«
    Großer Gott, wie soll ich diesem Kind antworten? Wie soll ich ihn beruhigen und davon überzeugen, dass er in Sicherheit ist, wenn ich selbst panische Angst um ihn habe und es keine Beruhigung gibt und nicht geben wird, bis David irgendwo lebend gefunden wird?
    Sie goss die Milch über den Kakao und rührte um.
    »Kann ich einen Keks haben?«
    »Wenn du dir hinterher noch mal die Zähne putzt.«
    »Dazu bin ich zu müde.«
    »Dann nicht. Komm, mein Großer.«
    Das Krachen von draußen kam so plötzlich, dass Sam vom Sofa hochschoss und sich gegen Cat warf, wobei die Schokolade sich auf den Boden ergoss. Der Wind hatte etwas hochgewirbelt und wieder zu Boden geschleudert.
    »Mummy, ich mag das nicht.«
    »Da ist nichts, Schatz, alles in Ordnung, nur der Wind, der einen Deckel oder irgendwas hochgeschleudert hat … Bleib ganz ruhig.«
    »Der Mann, der David Angus ermordet hat, könnte da draußen sein, Nat hat gesagt, das ist ein Mann, der gerne Jungs klaut und sie ermordet und dann in tiefe Löcher wirft, es gibt viele Männer, die das tun, vielleicht sogar zweihundert, und …«
    »Sam … komm, setz dich zu mir aufs Sofa.« Sie zog ihn eng an sich. »Ich möchte, dass du mir gut zuhörst. Ich versichere dir, dass da draußen kein solcher Mann ist. Das war der Wind. Da ist kein Mann, der kleine Jungs mitnehmen will. Du bist vollkommen in Sicherheit, und dir wird nichts passieren. Und jetzt sag mir, dass du mir zugehört hast und mir glaubst.«
    »Aber du weißt es nicht, woher weißt du das?«
    »Ich weiß es, weil ich viele Dinge weiß … Viel mehr, als Nat je wissen wird. Glaubst du ihm mehr als mir?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wenn ja, dann solltest du das nicht tun. Er ist ein dummer kleiner Junge, und ich bin deine Mami.«
    »Und Ärztin.«
    »Ja.«
    »Na gut …«
    »Oh, Sammo, ich liebe dich. Soll ich noch mehr heiße Schokolade machen? Aber erst mal sollte ich das aufwischen, bevor jemand darauf ausrutscht.«
    Sam glitt vom Sofa. »Ist nichts mehr zum Aufwischen da«, sagte er fröhlich. Cat schaute hinunter auf Mephisto, der den Rest der verschütteten Schokolade genüsslich aufschleckte.
    »Wirst du fluchen?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Was sagst du dann?«
    »Einen geheimen Fluch, den ich nicht verraten darf. Aber ich höre Daddys Auto. Wenn der uns hier findet, dann wird
er
fluchen … Los, beeil dich.«
    Was sollen wir tun?, sagte Cat grimmig zu Gott, während sie darauf wartete, dass Chris hereinkam. Was um alles in der Welt können wir jetzt sagen oder tun?

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    17
    N athan nahm Geoff Price mit, weil Geoff schweigsam war, so schweigsam, dass man meinen konnte, er hätte nicht viel Interesse an seiner Arbeit. Aber die hatte er, war hartnäckig und gut in Details. Er redete nur nicht viel und stellte nie dumme Behauptungen auf.
    Die Dulcie-Siedlung war nachts etwas anziehender als am Tag, da es den hellen Straßenlaternen sogar gelang, den Beton und die Hässlichkeit des Ganzen in weicherem Licht erscheinen zu lassen. Doch in jeder anderen Hinsicht war es ein Ort, an dem man nach Einbruch der Dunkelheit nicht herumlief, was daher auch kaum jemand tat. Die jugendlichen Rowdys und Junkies hatten ihn für sich. Die beiden Polizisten rochen es, als sie aus dem Auto stiegen.
    Jede Nacht hatte sich Nathan aus seinem Zimmerfenster gebeugt und diesen Geruch in der Nase gehabt – Pommes frites, Fett, menschlicher Abfall; nirgends roch es so wie in Dulcie. Er erinnerte sich an die Sehnsucht – wie an eine Krankheit –, da rauszukommen, irgendetwas zu tun, um an einen besseren Ort fliehen zu können, in eine Welt, die frischer und sauberer und wohlhabender roch – wobei es nie Geld gewesen war, das ihn motiviert hatte. Nathan Coates hatte schon mit dreizehn erkannt, dass man in Dulcie blieb, wenn man auf leicht verdientes Geld aus war. Das hatte ihn nie interessiert.
    Der Maud Morrison Drive lag auf der anderen Seite der Long Avenue, wo Nathans Familie wohnte – die etwas angesehenere Seite. Hier hatten die Häuser Vorgärten und Gartentore, und es standen weniger Schrottautos und alte Windhundkäfige herum.
    »Da ist es.«
    Geoff schwieg.
    Die Vorhänge waren kirschrot und fest zugezogen. An den Rändern schimmerten ein dünner Lichtstreifen und das flackernde Neonblau

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