Des Abends eisige Stille
weiß.«
»Nein, Sie wissen nicht. Sie haben nicht die geringste Ahnung.«
»Ich habe …«
»Wie sollten Sie? Wie können Sie sich vorstellen, wie das ist?«
»Indem … ich an ihn denke, als wäre es mein Sohn. Peter. Oder – Peter, als er neun war.«
Das Feuer, das sie sowohl zum Trost als auch wegen der Wärme angezündet hatten, verschob sich, und ein kleiner Kohlehaufen, der durchgebrannt war, sank zu glühender Asche zusammen.
»Es tut mir leid.«
»Nein. Sagen Sie das nie. Sie können alles zu mir sagen, das wissen Sie, aber Sie müssen sich für absolut nichts bei mir entschuldigen. In Ordnung?«
»Sie sind sehr gut.«
»Nein, ich mache nur meine Arbeit. Ich wünschte, ich müsste es nicht. Marilyn, ich wünschte mir genauso sehr, nicht hier zu sein, wie Sie mich wegwünschen. Ich wünschte, es gäbe keinen Grund für mich, hier zu sein.«
»Wenn sie seine Leiche finden, wird es keinen Grund mehr geben. Er ist tot, wissen Sie. Ich bin mir dessen ziemlich sicher.«
»Ich nicht.«
»Warum?«
Kate zuckte die Schultern.
»Ich sollte jetzt besser zu Lucy gehen.«
»Ja.«
»Wenn er tot ist, bete ich zu Gott, dass er sehr rasch gestorben ist.«
Dann wartete sie. Wartete darauf, dass die Polizistin sagte, natürlich sei das nicht der Fall, sie wisse, sie habe Beweise, dass David am Leben sei und gesund und jetzt heimgebracht werden würde, es sei einfach nicht möglich, dass er tot sei. Niemand habe ihm auch nur ein Haar gekrümmt, niemand habe ihn verängstigt, niemand habe ein barsches Wort zu ihm gesagt. David sei, wie er beim letzten Mal gewesen war, als sie ihn gesehen hatte, als er sich ins Auto gebeugt und sie zum Abschied geküsst hatte. Körper und Geist ihres Sohnes seien ganz und gar unbeschädigt. Die Zeit habe sich zurückgedreht und nichts sei passiert. Nichts.
Sie wartete. Kate stand auf und schob das Feuer zusammen.
Sie wartete.
Kate schwieg.
Schließlich ging sie, wusste, dass Kate nichts sagen konnte, weil es nichts zu sagen gab, ging so langsam die Treppe hinauf wie eine alte Frau, die eine unmöglich schwere Last trägt.
Sie wartete einen Augenblick vor Lucys Zimmer. Von drinnen kam kein Laut. Sie sammelte Worte im Kopf und versuchte daraus sinnvolle Sätze zu bilden, Worte zu formulieren, die dann aus ihrem Mund kommen, durch die Luft fliegen und von ihrer Tochter empfangen würden, aber die Worte waren so verstreut wie durcheinandergeworfene Spielsachen.
Sie drehte sich um und ging die zweite Treppe in das kleine Dachgeschosszimmer hinauf. Auch aus ihm drang kein Laut. Marilyn Angus lehnte ihren Kopf gegen die Tür und betete, die kleinen murmelnden Laute zu hören, die er von sich gab, wenn er seine Hausaufgaben machte, oder das leise Surren eines Motors von einem Spiel.
Wenn sie etwas gehört hätte, hätte sich die Zeit zurückgedreht und er wäre dort drinnen und sie auf dem Flur vor seinem Zimmer erwacht, nachdem sie schlafwandelnd hierhergekommen war.
Stille.
Sie öffnete die Tür. »Doodlebug«, sagte sie laut.
Das Zimmer roch nach ihm. Sie knipste das Licht an. Sein Morgenmantel hinter der Tür bewegte sich leicht, als sie hineinging. Das selbstgebaute Fußballstadion stand auf dem Tisch neben dem Fenster. Sie beugte sich hinunter und blätterte Bücher durch
. Harry Potter und der Stein der Weisen. Dr. Doolittles Geheimnis. Die Kammer Tutenchamuns. Die Geschichte Pompejis. Der Sternenführer. Sterne und Galaxien. Patrick Moores Buch des Nachthimmels. Ich war dort: Ein Junge aus Pompeji.
Er war hier. Sie roch ihn. Sie spürte ihn. Wenn sie die Hand ausstreckte, würde sie ihn berühren. Wenn er hier war, war er tot.
Sie legte sich auf das Bett ihres Sohnes und zog seinen Pyjama unter dem Kissen hervor. Er roch nach seinem Haar, dieser merkwürdige, besondere Jungengeruch. Sie schloss den Pyjama in die Arme. David war jetzt da.
Nach einer Weile schlief sie ein, und David schlief neben ihr, sein kleiner, dünner Körper in ihren gedrückt, so sehr Teil von ihr, wie er es vor seiner Geburt gewesen war.
Im Zimmer darunter saß Lucy am Fenster, schaute im Dunkeln in die Nacht hinaus, dachte an nichts, zwang ihren Geist, eine leere Trommel zu sein, und ihre Gefühle dazu, nichts zu empfinden.
Kate saß am Küchentisch, sich der Stille im restlichen Haus bewusst, einen Stapel polizeiliche Routineakten vor sich. Zur vollen Stunde hatte sie auf dem Revier angerufen, wo unermüdlich an dem Fall gearbeitet und mehr und mehr Beamte hinzugezogen wurden, aber
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