Des Abends eisige Stille
ihm dabei helfen.
Das Pub lag eine Meile von der Innenstadt entfernt, an einer unauffälligen Ecke, nicht die Art Pub, in das man zufällig geriet. Andy fragte sich, wie der Laden am Laufen gehalten wurde. Es roch muffig. Die Spiegel hinter der Bar hätten eine Reinigung vertragen können. An der Wand hing ein Plakat für einen Zirkus, der die Stadt vor drei Wochen verlassen hatte. Daneben das Plakat des vermissten Jungen. Andy schaute ihm ins Gesicht und wieder weg. Er sah ihn überall.
Lee Carter bog genau um halb sechs in die Einfahrt des Pubs. Er betrat die Bar, ging direkt zum Tresen, bestellte einen doppelten Tomatensaft, kam zu Andy herüber und zog mit Schwung die Lederjacke aus.
»Gefällt sie dir?«
Die Jacke war wie das Auto.
»Sehr schön.«
»Wenn du für mich arbeitest, könnte das alles deins sein, mein Sohn. Hast du genug zu trinken?« Andy nickte.
»Prost. Also dann. Und … Autos.«
»Was ist mit Autos?«
»Kennst du dich damit aus?«
Andy zuckte die Schultern. »Ich bin kein Mechaniker.«
»Ist auch nicht nötig. Verstehst du, ich mach ein bisschen in Import-Export, und manchmal sind es Autos. Hauptsächlich Export. Ich kauf dies, verkauf jenes, verfrachte sonst was … Gutes Geld.«
»Was müsste ich tun?«
»Fahren, etwas von hier abholen, es dort abliefern, bisschen aufpolieren … was auch immer.«
»Was für Autos?«
Lee Carter lächelte, ein breites, selbstgefälliges Lächeln. »Topmodelle. Mit rostigen Schrotthaufen ist keine Kohle zu machen. Mercedes, BMW , Jaguar, Ranger.«
»Teufel noch mal. Wo kriegst du die her?«
Lees Lächeln wurde frostig. »Wenn du für mich arbeitest, lernst du als Erstes, die Klappe zu halten.« Er machte eine entsprechende Geste.
»Wann arbeite ich, die üblichen Bürozeiten oder so?«
Lee lachte, griff nach Andys Glas, ohne zu fragen oder zu antworten, und ging an den Tresen.
Andy wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, um ein saubereres Gefühl zu bekommen. In seinen Ohren summte es. In seinen Adern summte es. Es summte in seinem Kopf. Ein warnendes Summen.
Steh auf, befahl er sich, steh jetzt auf und verschwinde. Erinnerst du dich, wo du gerade hergekommen bist? Erinnerst du dich, wie es da war?
Lee stellte das Bierglas vor ihn hin. Der Schaum lief über den Rand.
»Trinken wir darauf.«
Andy trank, ohne etwas zu sagen.
»Du arbeitest«, sagte Lee, setzte sich rittlings auf den Stuhl, »wenn man es dir sagt. Ich ruf dich an, oder jemand anders tut das. Dir wird gesagt, wohin du musst, was du zu tun hast. Und wann.«
Andy schüttelte den Kopf. »Nein. Das klingt nicht koscher, das klingt nicht wie normaler Autohandel.«
»Glaubst du? Wie gesagt, es geht um Export. Nicht der übliche Autohändler mit einem geschniegelten Bubi, der dir einen Blechsarg anzudrehen versucht. Ich hab dir gesagt, es ist anders.«
»Ja, ja, illegal anders.«
»Nichts Illegales daran, Autos zu exportieren, And. Passiert jeden Tag. Warum nicht? Wenn du in mein Büro kämst, würdest du die meterhohen Formularberge sehen, die ich ausfüllen muss, Zölle hier, Ausfuhrsteuern dort … Ich würde das wohl kaum machen, wenn der Export nicht legal wäre, oder?«
Andy schaute ihn an. Lee hatte diesen geradlinigen, blauäugigen Blick, der einen festhielt. Es gab Verrückte und Mörder und Pädos, die einem nicht in die Augen schauen konnten, und dann gab es Ganoven, Betrüger, die das immer taten.
Nur brauchte er einen Job.
»Wann soll ich anfangen?«
»Hast du ein Handy?«
Andy lachte.
»Gut, ich besorg dir eins. Komm am Donnerstag zu Dino’s in die Queen Street. Um elf.«
»Lieber Himmel, Dino’s …«
»Den gibt es immer noch … Nur hat Alfredo jetzt übernommen, und er hat eine Frau. Sein Dad hat ihn nach Italien geschickt, war alles schon in die Wege geleitet, bevor er fuhr, und er kam mit Lina zurück. Tolles Weib.«
Eine Sekunde lang vergaß Andy Gunton, mit wem er redete – vergaß, dass Lee Carter einer der Gründe gewesen war, die ihm viereinhalb Jahre Knast eingebracht hatten, vergaß, dass man ihm nicht trauen konnte, niemals, und dass er, Andy, bescheuert wäre, für ihn zu arbeiten. Vergaß, dass er jetzt nicht mit ihm in diesem Pub trinken sollte. Er dachte nur daran, dass sie zusammen zur Schule gegangen waren und Fredo Jaconelli zu ihnen gehört hatte, dass sie sich alle nach der Schule und an Samstagnachmittagen zu Dino’s hineingedrängt, Cola getrunken, mit langen Löffeln aus hohen Gläsern Knickerbocker
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