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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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Stimme. Wenn er es tat, war das mehr ein Zeichen der Enttäuschung über sich selbst als Wut auf jemand anderen, aber es war trotzdem besser, ihm dann aus dem Weg zu gehen. Serrailler war dem Detective Sergeant immer als ein Mann erschienen, der meist entspannt und umgänglich war, tief in seinem Inneren aber einem brodelnden Kessel glich, der eines Tages auf spektakuläre Weise überkochen könnte.
    »Sex«, hatte Emma gesagt, als er es ihr gegenüber erwähnt hatte.
    »Ich glaub nicht, dass er welchen will.«
    »Blödsinn.«
    »Du willst mir also weismachen, er bräuchte die Liebe einer guten Frau?«
    »So was in der Art.«

[home]
    26
    I ch hab ihr die Fingernägel lackiert, hast du gesehen? Dieser rosa Lack mit all dem Glitzer drin … sieht so hübsch aus.«
    Shirley reichte Rosa den Schirm, während sie den Schlüssel ins Schloss steckte. Der Wind trieb Regen gegen ihre Rücken.
    »Ich weiß nicht, warum du dir die Mühe machst, sie kriegt es ja doch nicht mit. Sie kriegt überhaupt nichts mit.«
    »Deinen Ballon hat sie schon mitgekriegt.«
    Sie traten ein, wobei ihnen der Sturm die Tür aus der Hand riss und sie hinter ihnen zuknallte.
    »Zieh deine Sachen aus und bring sie in die Küche. Ich bin von dem kurzen Stück völlig durchnässt, das Wasser ist mir bis in die Schuhe gelaufen.«
    Zehn Minuten später waren die Vorhänge zugezogen, Licht und Heizung angeschaltet, und sie saßen gemütlich in der Küche. Manchmal kam Rosa nach dem Ende der langen Tagschicht mit zum Abendessen und schlief auf Shirleys Bettcouch, um sich die lange Busfahrt quer durch die Stadt zu ersparen. Sie hätte in einem der Personalräume im Heim übernachten können, aber es war nicht so gemütlich, und außerdem wollte man nach dem Ende der Arbeit aus dem Gebäude. Es war seltsam, der Bungalow stand nur auf der anderen Seite des Rasens – man konnte das Heim vom Fenster aus sehen –, und doch fühlte man sich wie in einer anderen Welt.
    Es war eine Welt, die Rosa gefiel, nach der Enge im Haus ihrer Familie, voll mit dem Computerzeug und den Musikanlagen ihres Bruders, den Basarstrickwaren ihrer Großmutter, den schwarzen Säcken ihrer Mutter mit den Sachen von ihrem Marktstand.
    Shirley war ein- oder zweimal zum Tee bei ihnen gewesen und hatte gesagt, sie würde gern wieder Teil einer Familie sein, aber man konnte sich nirgends in Ruhe unterhalten, nirgendwo ohne den Lärm eines Fernsehers oder einer Stereoanlage sein. Hier war es besser.
    »Seltsamer Tag.«
    Sie hatten eine feste Gewohnheit. Jedes Mal, wenn sie nach der langen Tagschicht hierherkamen, frühstückten sie, um halb neun abends. Shirley nahm Eier und Speck und Tomaten aus dem Kühlschrank, Rosa stellte den Wasserkessel an und schnitt das Brot. Hin und wieder rüttelte der Wind an den schlecht eingepassten Metallfensterrahmen, und der Regen prasselte gegen die Scheiben.
    »Wie kannst du es hier bloß allein aushalten mit diesen knarrenden Bäumen? Ich hätte Todesangst.«
    »Der Herr und Seine Engel wachen über mich. Gelobt sei Gott. Ich weiß nicht, warum man sich vor ein bisschen Wind fürchten soll.«
    »Glaubst du, mein Ballon hat ihr wirklich gefallen?«
    »Hast du ihr Gesicht nicht gesehen? Sie hat ihn angelacht.«
    »Armes kleines Ding.«
    »Ich glaube, sie hatte einen richtig schönen Tag … All diese Sachen, diese hübschen bunten Blumen, die der Chief Inspector gebracht hat, und fast ihre ganze Familie war da.«
    »Arme Mrs. Fox. Seit vier Jahren hat sie niemand mehr besucht, und jetzt ist sie tot.«
    »Es war das Beste, Rosa, sie ist beim Herrn, und sie hatte kein Leben. Da war nichts mehr, nur noch eine leere Hülle. Ich finde, Martha hat mehr.«
    »Was glaubst du, warum hat Gott sie so gemacht? Du sagst doch immer, es gebe für alles einen Grund, aber wenn du dir Martha Serrailler anschaust, wenn du dir Arthur anschaust … Welchen Grund hat Gott dafür gehabt?«
    Rosa fand Shirleys handfeste Religion abwechselnd faszinierend und abstoßend. Sie war einmal mit ihr in der Gospelkapelle gewesen, und das Singen und Tanzen und Händeklatschen war toll gewesen, wirklich erhebend. Dafür kamen die Menschen von weit her. Nur folgte dann dieses merkwürdige Zeug.
    »Es ist nicht an uns, solche Fragen zu stellen. Der Herr weiß es.«
    »Man kann ja nicht behaupten, dass es eine Strafe wäre, nicht wahr? Bei Martha jedenfalls nicht. Sie hat nichts getan. War nie dazu fähig.«
    »O nein. Martha ist eine von Gottes Unschuldigen. Einer Seiner auserwählten

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