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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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vielleicht wissen sollten?«
    Fünf Minuten später wusste sie alles, was Karin ihr erzählen konnte, und hörte mit intelligenter Aufmerksamkeit zu. Sie umrundeten das Modell. Karin deutete auf diesen und jenen Aspekt, die junge Frau sah sich alles genau an. Hinten im Raum, nahm Karin wahr, blickten Meriel und ein paar weitere Helferinnen neugierig zu ihnen.
    Beim Geräusch von Schritten hinter ihr drehte sich Lucia Philips um. »Cax, komm her und schau dir das an.«
    Er war in den Fünfzigern, ein gutaussehender Mann, gekleidet in das amerikanische Äquivalent von Sevil Row und mit einem entsprechenden Akzent. Mit ihm war der Regenguss weniger freundlich umgegangen. Sein Mantel war am Kragen und an den Ärmeln durchweicht, Regenwasser lief ihm seitlich vom Gesicht in den Nacken.
    »Ich hole Ihnen gern eine Tasse Kaffee … Und ich kann bestimmt ein sauberes Handtuch auftreiben, damit Sie sich ein bisschen abtrocknen können.«
    Er streckte die Hand aus. »Ah, vielen Dank. George Caxton Philips. Wie ich sehe, haben Sie meine Frau Lucia bereits kennengelernt.«
    Karin sah noch einmal hin. Die junge Frau konnte nicht älter als zwei- oder dreiundzwanzig sein, und Karin hatte den Mann für ihren Vater gehalten. Aber was immer er war, sie spürte, dass man ihnen die größtmögliche Aufmerksamkeit schenken sollte. Sie ging in die Küche, auf der Suche nach frischem Kaffee und einem Handtuch.
    Meriel hielt sie neben der Spüle auf. »Wer ist das?«
    »Amerikaner. Charmant. Können Sie ihnen eine frische Kanne Kaffee machen?« Sie wühlte in einer der Schubladen und fand zwei ausgebleichte, aber saubere Geschirrtücher mit dem Aufdruck der St.-Michael-Kathedrale.
    »Ich bringe ihn raus«, flüsterte Meriel. »Gehen Sie wieder zu ihnen.«
    Das Paar betrachtete das Modell gemeinsam, und als Karin sich ihnen näherte, spürte sie einen leichten Schauer von Intimität und sexueller Spannung zwischen den beiden, der sie verblüffte, obwohl sie einige Zentimeter voneinander entfernt standen und über das Modell sprachen.
    »Tut mir leid, das ist alles, was wir zum Abtrocknen haben, aber sie sind wenigstens sauber.«
    »Vielen herzlichen Dank.« Er bedachte Karin mit einem Lächeln, das augenblicklich seine Anziehung auf jede Frau erklärte, selbst auf eine umwerfende Schönheit, die jung genug war, seine Tochter zu sein. Er rubbelte sein Haar kräftig mit einem der Geschirrtücher ab, wischte sich dann mit dem anderen über das Gesicht und den Nacken, wobei er ein klägliches Gesicht machte. Seine Frau schaute zu und bog sich schier vor Lachen; er reagierte darauf, bemerkte Karin, mit einem fast anbetenden Ausdruck. Keine bloße Liebe, sondern absolut verzauberte Anbetung.
    »Ich lasse sie waschen.«
    »Meine Güte, nein, bitte nicht.« Karin nahm ihm die Tücher ab, als Meriel mit einem Tablett kam. Irgendwie war es ihr gelungen, nicht nur Tassen mit Pulverkaffee aufzutreiben, sondern eine Cafetière mit echtem Kaffee. Karin entfernte sich und begann, Abfälle von den Tischen zu räumen. Weitere Menschen kamen herein und gingen zur Tombola. Ein Paar bat um Tee.
    Meriel hatte die Sache an sich genommen, wie Karin vorhergesehen hatte, und im Weggehen hatte sie den Amerikaner noch sagen hören: »Wir sind wirklich an allem hier interessiert. Wir haben Seaton Vaux gekauft, vielleicht kennen Sie es, nur ein paar Meilen außerhalb der Stadt?«
    Karin schoss in die Küche, wo drei der anderen zusammenstanden. »Seaton Vaux«, flüsterte sie, deutete mit dem Kopf zur Tür.
    »Ich hatte gehört, dass da wieder jemand wäre …«
    »Mein Gott, das könnte etwas Ernstes werden.«
    Die winzige Küche summte.
    Seaton Vaux, ein paar Meilen westlich von Lafferton, war eines der hochkarätigsten elisabethanischen Herrenhäuser mit mehreren Hektar Land und einem dazugehörigen Dörfchen, im Besitz der Familie Cuff, bis das letzte Familienmitglied vor zehn Jahren gestorben war. Danach war es baufällig geworden und dann fast verfallen.
    Es war lange Zeit auf dem Markt gewesen, und die üblichen Gerüchte über Popstars, Schauspieler, gekrönte Häupter und exotische Ausländer hatten die Runde gemacht. In letzter Zeit war es still geworden um Seaton Vaux. Bis dieser gutaussehende, gebildete Amerikaner mit seiner jungen Frau auftauchte, die jeden Filmstar und jede Prinzessin in den tiefsten Schatten stellen konnte.
    Karin schaute aus der Küche hinaus. Die Flaute war vorüber. Weitere Besucher kamen herein. Sie ging zu ihnen, um Bestellungen

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