Des Abends eisige Stille
würde er alle zukünftigen Briefe ungelesen zerreißen. »Wenn du nicht weißt, was du tun sollst, tu nichts«, war eine der wenigen Lektionen gewesen, die er von seinem Vater gelernt hatte. Also, keine Antwort auf den Brief, keine Reaktion auf telefonische Nachrichten. Er würde nichts tun, und wenn er das lange genug durchhielt, würde sie ihn in Ruhe lassen. Er wünschte ihr nichts Böses, wünschte nur, dass sie aus seinem Leben verschwand.
Die Uhr der Kathedrale schlug zehn, die ernsten, abgemessenen Töne klangen durch den Raum, säuberten ihn von der Verschmutzung seines wütenden Fluchens. Sie beruhigten ihn. Er legte sich auf das lange Sofa.
Seine Gedanken kreisten um Freya Graffham, die glatte Kappe ihres Haars, die feinen Gesichtszüge. Das war also Liebe, und er war zu dumm gewesen, es zu erkennen, zu langsam in seiner Reaktion, zu … Er stellte sie sich in diesem Zimmer vor, nicht als Besucherin, sondern als vertrauten Teil davon, ihre Bücher auf den Regalen, die Noten des jeweiligen Chorwerks, das sie für die St.-Michael-Sänger probte, geöffnet auf dem Tisch. In seiner Vorstellung war es nicht mehr sein Zimmer, sondern ihr gemeinsames.
»Hast du dich gefragt, was sie empfunden hat?«, hatte Cat ihn gefragt, als er ihr von Dianas Besuch erzählte. Jetzt hatte Diana es ihm mitgeteilt, und es hatte ihn nicht veranlasst, sich seinetwegen zu schämen oder ihr gegenüber Mitgefühl zu empfinden, es hatte ihn nur verärgert.
Er stand auf. Für neun war eine Teambesprechung des Angus-Falles angesetzt, für zehn eine Pressekonferenz. Die Nachricht von Alan Angus’ Selbstmordversuch war noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen, und Simon wollte die Medien selbst davon unterrichten, um ihre Reaktion besser kontrollieren zu können. Dazu würde er fit sein müssen. Er schloss die Wohnungstür ab, schaltete die Lampen aus und blieb ein paar Minuten am Fenster stehen, betrachtete die angestrahlte Kathedrale. Der Himmel war klar, die Nacht ungeheuer still. Allmählich spürte Simon, wie die Ruhe auf ihn überging. Er legte sich ins Bett, um vor dem Einschlafen noch ein weiteres Kapitel von
Hornblower
zu lesen.
Aber er schlief nicht ein. Um zwei wälzte er sich immer noch, sein Frieden gestört. Er las weiter, stand auf und aß ein paar Kekse. Er ging wieder ins Bett, konnte aber nach wie vor nicht einschlafen.
Eine halbe Stunde später verließ er die Wohnung und lief die hallende Treppe hinunter, vorbei an den dunklen Büros und hinaus zu seinem Auto. Wenn er nicht schlafen konnte und nicht daliegen und an Dianas Brief denken wollte, und am wenigsten an Freya, konnte er genauso gut arbeiten. Der Audi glitt aus dem Hof in die nächtlichen Straßen.
[home]
39
D rei Tage nachdem Andy Gunton den Jaguar auf dem Flugplatz abgestellt hatte, war ein weiteres Päckchen mit der Post eingetroffen, eine weiße gepolsterte Versandtasche mit der Aufschrift ZERBRECHLICH und per Eilzustellung verschickt. Michelle hatte in der Küchentür gestanden, als er die Treppe herunterkam.
»In der Kanne ist Tee, und es gibt Brot. Ich muss zur Schule, brauch höchstens zehn Minuten, und wenn ich wiederkomme, setzen du und ich uns hin und frühstücken und reden, okay?«
Sie hatte Otis’ Schal fester um dessen Hals gezerrt und die Treppe hinauf nach Ashley gebrüllt, sich eine Zigarette angezündet, die Kinder hinausgeschoben und es Andy überlassen, die Tür zu schließen. Pete war im Bett. Im Wohnzimmer pries der Fernseher Ledersofas mit zinsloser Ratenzahlung an.
Das Päckchen lag auf dem Tisch. Michelle hatte dafür unterschrieben und es zweifellos immer wieder hin und her gedreht. Er konnte es unmöglich an sich nehmen und so tun, als sei es nie gekommen.
Nach der Sache mit dem Handy würde alles, was per Eilzustellung für ihn kam, zu Diskussionen führen.
Er stellte den Kessel wieder an, nahm einen Becher herunter, hängte einen Teebeutel hinein, fand den Zucker und einen Teelöffel, öffnete den Kühlschrank, holte die Milch heraus und schaute zwischendurch ständig auf das Päckchen, berührte es und wog es in der Hand. Er hatte Angst davor, es zu öffnen. Nichts war passiert, seit er mitten in der Nacht am Ende der Straße abgesetzt worden war. Niemand hatte Verbindung zu ihm aufgenommen, keine weiteren SMS waren gekommen. Es war, als wäre nie etwas gewesen. Andy glaubte schon fast selber daran.
Er setzte sich mit dem Teebecher an den Küchentisch und griff wieder nach dem Päckchen. Es hatte die Form und
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