Des Drachens grauer Atem
Thailand getragene Modernität, die in Bangkok längst die Ursprünglichkeit des Lebens überdeckt hatte, in erträglichen Grenzen hielt. Gewiss, von den Gebäuden im Zentrum leuchteten ebenfalls die Reklameplakate für Coca-Cola und für Parker-Füllhalter, auf riesigen Plakaten putzten sich hellblonde Amerikanerinnen die Zähne mit Colgate, und in den Geschäften türmten sich elektronische Geräte neben Nylonhemden und Filterzigaretten aus Amerika. Aber dies alles konnte nicht verhindern, dass Chiengmai selbst bei einem flüchtigen Beschauer den Eindruck hinterließ, dass hier Thailänder lebten und sich der langen Geschichte ihres Landes bewusst waren. Die aufgetragene Eleganz der Hauptstadt fehlte; es fehlte auch an Zeichen der amerikanischen Subkultur, wie man sie in Bangkok auf Schritt und Tritt antraf. Die Bars mit Namen aus Wildwestfilmen waren spärlicher, und Wilkers entdeckte keine der für Bangkok typischen Reklamen für Massagesalons und dürftig getarnte Bordelle. Chiengmai ist schöner als Bangkok, das empfand Wilkers. Es ist thailändischer!
Er bewunderte den hohen Gipfel des Doi Sutep, der sich hinter dem Tal erhob, in dem die Stadt lag. Die Hänge rings um die Stadt waren grün, und dazwischen leuchtete das Rosa der Kapokblüten, das Feuerrot der Flammenbäume, das Gold der Früchte an den Bananenstauden. Ein buntes Bild, das Wilkers begierig in sich aufnahm.
Er kannte wenig von der Geschichte Thailands, aber irgendwo hatte er gelesen, dass in Chiengmai eine der ersten Dynastien thailändischer Fürsten gelebt hatte. Später hatte die Stadt wie der ganze Norden unter den Einfällen der Burmesen gelitten, bis schließlich die Heere aus dem Süden kamen und Chiengmai wieder zu einer blühenden Stadt des Reiches wurde. Dutzende von Tempeln und Klöstern befanden sich hier, und das Safrangelb der Roben, die die Mönche trugen, gehörte zum Straßenbild. Unter großen Sonnenschirmen wanderten sie über die Märkte, die voller Lebensmittel waren, voller tropischer Früchte, und auf denen die Erzeugnisse der traditionellen Handwerkskunst feilgeboten wurden: Silberarbeiten, Lackwaren, irdenes Geschirr, bunte Stoffe aus Seide oder Baumwolle.
Wo immer man sich befand, man konnte den hellen, reinen Ton der Tempelglocken hören. Keine von ihnen ließ sich mit einer anderen vergleichen, jede war aus einer eigenen Legierung gefertigt und hatte ihren besonderen Ton. Strich der Wind über einen Tempelhof, so erklangen sie, denn an ihren Klöppeln waren kleine Metallblättchen angebracht, die selbst auf einen schwachen Luftzug reagierten.
Am Nachmittag seines ersten Aufenthaltstages in Chiengmai suchte Wilkers die Karawanserei am Nordrande der Stadt auf, deren Adresse Sinhkat ihm gegeben hatte. Der Inhaber, ein noch nicht sehr alter Mann, trug einen Schlosseranzug und eine amerikanische Baseballkappe. Er schlug Wilkers vor: „Nehmen sie einen der Busse, die bis nach Fang fahren, einmal in der Woche. Es ist zwar nicht sehr bequem, und die Straße wird von Kilometer zu Kilometer schlechter, aber es wäre für Sie sicher nicht so anstrengend wie der Fußmarsch."
Wilkers schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht mit dem Bus reisen. Ich habe ohnehin wenig Gelegenheit, das Land kennen zu lernen, hier bietet sich eine, und die möchte ich wahrnehmen."
„Aber es wird viel länger dauern", machte der Mann ihn aufmerksam. „Von Fang aus ist der Weg über die Berge ziemlich beschwerlich. Würde es nicht besser sein, wenn Sie Ihre Kräfte bis dorthin sparen?"
Wilkers lächelte. „Machen Sie sich keine Sorgen über meine Kräfte. Ich schaffe das schon. Eine solche Wanderung wird mir nicht schaden, im Gegenteil, ich werde mich dabei erholen!"
Der Mann musterte ihn zweifelnd, aber er kam zu dem Schluss, dass man diesem kleinen, energischen Ausländer seine Idee wohl kaum würde ausreden können. Nun gut, sollte er sich auf den Weg machen. Er nahm sich Zeit, Wilkers den Umgang mit einem Maultier beizubringen. Er lehrte ihn, es zu leiten, zu bepacken, und er erklärte ihm, wie er das Tier unterwegs mit Futter ernähren könnte, das an den Berghängen wuchs.
„Sie brauchen nichts mitzunehmen. Achten Sie nur darauf, dass es sich nicht an Baumblättern satt frisst oder an den Blättern von Büschen. Es schadet nichts, wenn es gelegentlich davon nascht, aber als Hauptfutter muss es das haben, was direkt auf dem Erdboden wächst. Einfach zu merken: Es muss den Kopf senken, wenn es frisst, nicht hochhalten."
Ebenso
Weitere Kostenlose Bücher