Des Drachens grauer Atem
Blick. Dann sagte sie etwas zu Muchathien. Der wandte sich an Wilkers: „Sie will wissen, warum Sie danach fragen. Sie müssen verstehen, sie hat Angst. Sie hat etwas gesehen, aber die Amerikaner wissen nicht, dass sie es gesehen hat. Wenn sie es erführen, wäre es möglich, dass die Amerikaner sie beseitigen."
„Das ist doch Unsinn", fuhr Wilkers auf.
Der Soldat entgegnete ruhig: „Professor, ich war in der Armee, die von den Amerikanern geleitet wird. Ich weiß, wie man mit unbequemen Zeugen verfährt. Das Mädchen hat recht, wenn es vorsichtig ist."
„Gut", gab sich Wilkers zufrieden. „Aber was hat sie denn nun wirklich gesehen? Machen Sie ihr doch klar, dass ich kein Amerikaner bin und dass ich hier nur etwas ausrichten kann, wenn ich die Wahrheit herausfinde, und zwar die ganze Wahrheit, so unbequem sie auch sein mag."
„Die Wahrheit ist, dass die Maschine der Air America hier war. Sie brachte Waffen für Nautung und seine Leute..."
„Wer ist Nautung?"
Muchathien erklärte es, dann fuhr er fort: „Die beiden Flieger übernachteten im Hause Lo Wens. Satchanasai wohnt bei Bansammu, im nächsten Haus. Sie konnte sehen, wie die Flieger zehn Säcke mit Opium mitnahmen, im Gegenwert für die Waffen, die sie gebracht hatten. Satchanasai sah auch, dass Bansammu am späten Abend noch zu den beiden Fliegern hinaufstieg, in das Pfahlhaus, wahrscheinlich um mit ihnen zu essen. Danach hat Satchanasai ihn nicht mehr gesehen. Aber sie sah, wie die beiden Flieger in der Dunkelheit einen weiteren gefüllten Plastsack zu ihrer Maschine brachten. Am Morgen starteten sie. Bansammu erschien nicht mehr. Auch keine Spur von ihm. Deshalb ist das Mädchen überzeugt, dass die Flieger ihn mitgenommen haben."
„Aber warum wohl?" grübelte Wilkers. Er zweifelte nicht an dem, was das Mädchen beobachtet hatte. Trotzdem gelang es nicht, einen vernünftigen Grund zu finden, weshalb die Piloten der Air America diesen alten Mann verschleppt haben sollten.
Das Mädchen meinte nur: „Sie werden einen haben!" Dann ging sie wieder an die Arbeit.
Wilkers fühlte sich in der kleinen Siedlung bald heimisch. Er verfolgte mit Interesse den Ablauf des täglichen Lebens, er beobachtete die Bewohner bei den vielen Verrichtungen, die nötig waren, um ihre Existenz zu sichern. Da wurden abseits der Siedlung Erdnüsse gezogen; die Frauen gruben einen Teil davon .ms, bevor sie ganz gereift waren. Sie kochten einen Brei daraus, der die Kinder satt machte, ohne sie allerdings ausreichend zu ernähren. In einem Schuppen lagerten größere Mengen getrockneter Maniokscheiben. Die Frauen zerrieben sie und mischten sie unter den Reis, um ihn zu strecken. Daneben wurden Früchte gesammelt. Kinder zogen schon am frühen Morgen los und suchten Wildbananen. Man fütterte die drei oder vier Schweine damit, die es im Dorf gab, man aß aber auch selbst einen Teil davon. Gelegentlich brachten die Kinder andere Wildfrüchte mit oder Bambussprossen, aber danach mussten sie in Gegenden suchen, in die bisher kaum jemand gekommen war. Ein paar Männer waren unterwegs, um zu jagen. Es gab nur wenig Wild in den Bergen. Bären, die früher häufig zu finden gewesen waren, fehlten so gut wie völlig, und das Fleisch der Raubkatzen schmeckte nicht. Also blieben nur Wildschweine oder Ziegen, die man erlegen konnte, ab und zu ein Waldhuhn oder ein Affe, oder eine Python, die man gern aß, war hier oben selten, die anderen Schlangenarten gaben nur wenig essbares Fleisch.
Wilkers aß mit den Dorfbewohnern, als die Jäger eines Tages ein paar Affen erlegt hatten. Da briet man überall dreimal am Tag Affenfleisch, denn man konnte es nicht aufbewahren, weil es an Salz fehlte. Muchathien bot dem Professor schmunzelnd eine Schale an, die mit einer dampfenden, gallertartigen Masse gefüllt war. „Affenhirn. Es macht klug und weise, Sie werden es brauchen können!"
Er sah belustigt zu, wie Wilkers sich an die Mahlzeit machte, und er staunte, dass der Europäer die Schale leerte. „Schmeckt Ihnen das?" Wilkers lächelte. „Ich könnte nicht behaupten, dass es mir geschmeckt hätte. Aber ich möchte gern kennen lernen, wie man sich hier ernährt, deshalb esse ich es."
„Es ist eine Delikatesse!"
„Eben." Wilkers nickte. „Wie Ameiseneier für einen Goldfisch."
Er hatte sich angewöhnt, vor dem Pfahlhaus des ehemaligen Soldaten an einem aus Bambus gezimmerten Tisch zu sitzen und aufzuschreiben, was er von den verschiedensten Leuten hörte. Nach und nach trug er
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