Des Erdenmannes schwere Bürde
nicht auf die Idee kam, das zwischen seinen Zähnen klemmende Messer aus dem Mund zu nehmen.
„Keinen Schritt weiter!“ sagte der Pirat mit schriller Stimme, sprang auf und fuchtelte mit einem langen Enterbeil vor Alex’ Nase herum. „Stehenbleiben, wenn euch euer Leben lieb ist!“
Alex zögerte. Er mußte sich eingestehen, daß weder die von der Meeresluft gebleichte Jacke noch seine Hose einen ausgesprochenen piratenhaften Eindruck hervorriefen. Nicht einmal die ausgelatschten Stiefel oder sein Schwert konnten diesen Eindruck trüben. „Ich bin der Kommandant eines Schiffes“, sagte er, „und möchte mit meinen … äh … Kumpanen zusammensitzen.“
Der Wächter taumelte waffenschwingend auf ihn zu. Alex, der nicht die geringste Ahnung hatte, wie man eine Klinge führt, stolperte zurück. „Soso!“ schnaubte der Hoka. „Du kannst dich also nicht mal wie ’n richtiger Mann verteidigen, wie? Ich hab Befehl, jeden gnadenlos niederzumetzeln, der dieser Hütte auch nur nahekommt – und das werd ich auch tun, verdammt noch mal!“
„Ach, halt doch die Snauze“, sagte Olaf unbeeindruckt. Er riß die eigene Klinge aus der Scheide und schlug dem Piraten die Waffe aus der Hand, was dazu führte, daß der andere nun mit einem Dolch auf ihn eindrang. Olaf verpaßte ihm einen Kinnhaken, der den Angreifer sofort zu Boden gehen ließ und setzte sich kurzerhand auf dessen Bauch. „Alles klar, Ssiffer“, meinte er und fragte dann, hoffnungsvoll seinem Opfer zugewandt: „Weisst du die Wegen nach Könstantinöpel?“
Alex öffnete die Tür und trat schweren Herzens ein. Die Hütte wurde von Kerzen erhellt, die in den Hälsen leerer Flaschen staken und eine Gruppe verwegen aussehender Gesellen beleuchteten, die sich um einen langen Tisch versammelt hatten. Einer der Piraten, ein Hoka der eine Augenklappe trug, sah auf und fragte: „Wer kommt?“
„Captain Grünbart von der Aber nicht mit uns “, sagte Alex steif. „Bin gerade erst angekommen.“
„Ah, gut, nimm Platz, Kumpan“, sagte der andere. „Ich bin Captain Einauge – und die anderen sind Henry Morgan, Flint, Long John Silver, Hook, Anne Bonney, unser aller Admiral La Fontaine, und …“ Irgendjemand legte ihm von hinten eine Hand über den Mund.
„Wer soll das sein?“ quäkte La Fontaine unter seinem Dreispitz hervor. Zwanzig Hoka-Augenpaare richteten sich von ihm auf Alex und wanderten zurück.
„Pest und Hölle!“ wetterte ein anderer, der einen an seine Hand gebundenen Haken trug. „Ihr werdet doch wohl Captain Grünbart kennen!“
„Wie sollten wir das?“ gab La Fontaine zurück. „Wie sollten wir einen Captain Grünbart kennen, wenn er in keinem einzigen Buch erwähnt wird? Einen solchen Mann gibt es doch überhaupt nicht. Wette, er ist niemand anders als John Paul Jones in Verkleidung!“
„Das bestreite ich!“ brüllte nun ein anderer Hoka und sprang auf. „Captain Grünbart ist doch mein Vetter!“ Er kraulte seinen leuchtend schwarzen, nichtsdestotrotz aber angeklebten eigenen Bart.
„Ich will verdammt sein“, sagte die einzige weibliche Piratin in der Runde, „wenn ich einfach hinnehme, wie man über einen alten Freund von Anne Bonney redet!“ Sie war über und über mit glitzernden Juwelen bedeckt, trug langläufige Pistolen und ein bis zum Boden reichendes Gewand, das man mit einem aufreizend tiefen Dekollete versehen hatte. Da eine vierbrüstige Hoka-Dame auch einen doppelten Büstenhalter benötigte, hatte sie sich auch damit ausstaffiert.
„Oh, na gut“, brummelte La Fontaine. „Dann trinken Sie ’n Schluck mit uns, Captain und helfen uns eben bei der Planung unseres Überfalls.“
Alex ließ sich einen Krug des entsetzlichen einheimischen Gebräus geben. Die phantastische Geschwindigkeit, mit der die Hokas ungeheure Mengen dieses Fusels in sich hineinkippen konnten, war ihm wohlbewußt, aber er hoffte, daß man nicht bemerkte, wenn er – im Hinblick auf die zu erwartende Länge der Versammlung – langsam trank und halbwegs nüchtern blieb. Vielleicht gelang es ihm sogar, die Situation irgendwie zu meistern. „Danke“, sagte er. „Ich hoffe, ihr hebt einen mit.“
„Mach dir keine Sorgen deswegen, Kumpan“, sagte La Fontaine gutherzig und stürzte erneut einen halben Liter in seine Kehle. „Hick!“
„Habt ihr vielleicht irgendwo Salmiakgeist rumliegen?“
Einauge schob die schwarze Kappe auf das andere Auge und musterte ihn verstört. „Nicht daß ich wüßte, Kumpan“, sagte er dann.
Weitere Kostenlose Bücher