Des Koenigs Konterbande
Etappe auf dem Weg nach Cornwall zurücklegen sollte, quer über die ganze Breite der britischen Insel.
»Es schien mir so am besten, M’lord«, sagte Bolitho.
»Damit er rechtzeitig vor Weihnachten bei seiner Familie eintraf.«
»Gewiß, obwohl ich bezweifle, daß es Ihnen vor allem darum ging.«
Bolitho nickte. »Ich mußte um sein Leben fürchten, wenn er bei mir geblieben wäre.«
Marcuard fragte nicht nach dem Grund; wahrscheinlich wußte er auch so, daß die Bruderschaft sich an dem Jungen gerächt hätte.
Er stellte seine Tasse ab und sah auf die Uhr. »Ich muß jetzt ausgehen. Mein Kammerdiener wird sich um Sie kümmern.
« Irgend etwas schien ihn zu beschäftigen. »Falls ich nicht zurück bin, bevor Sie zu Bett gehen, sorgen Sie sich nicht. Das ist nun mal so in London.« Er trat vor ein Fenster und blickte hinaus. »Dieses Wetter ist ein schlechtes Omen.«
Bolitho starrte Marcuards Rücken an. Obwohl dieser nichts dergleichen gesagt hatte, ahnte er, daß er sich zu einer Konferenz mit dem König begab. Wie das wohl dem Premierminister und dessen Ratgebern behagte? Es war inzwischen allgemein bekannt, daß Seine Majestät zu wetterwendischen Entschlüssen neigte und an schlechten Tagen sich überhaupt nicht entscheiden konnte. Es mochte schon zutreffen, daß er über seine Befürchtungen lieber mit Marcuard sprach, als sie im Parlament zu diskutieren. Kein Wunder, daß Marcuards Macht immer mehr wuchs.
Seine Lordschaft stand am Fenster und blickte nachdenklich auf die Straße hinunter. »Für Paris wird das ein schlimmer Winter. Schon letztes Jahr hatten sie dort eine Hungersnot, und diesmal steht es noch schlechter. Kälte und Hunger kann die Menschen zu verzweifelten Reaktionen treiben – und sei es nur, um ihr eigenes Versagen zu bemänteln.« Er wandte sich um und sah Bolitho ernst an. »Ich muß dafür sorgen, daß der Schatz bald nach England gebracht wird. Die Zeit ist knapp.« Die Tür öffnete sich, und er befahl: »Die neutrale Kutsche soll hinten vorfahren – sofort.« Und zu Bolitho: »Überlassen Sie Brennier mir.«
»Und was soll
ich
tun, M’lord?« Auch Bolitho war aufgestanden, Marcuards Ungeduld hatte ihn angesteckt.
»Sie sind und bleiben mein Trumpf in dieser Sache.«
Seine Lordschaft lächelte kühl. »Sie werden nach Holland zurückkehren, aber erst wenn ich es für richtig halte.« Er schien in Gedanken schon ganz bei der bevorstehenden Besprechung zu sein. »Wer sich Ihnen entgegenstellt, bekommt es mit mir zu tun.« Wieder dieser prüfende Blick.
»Aber lassen Sie Tanner in Ruhe.« Und mit einem frostigen Lächeln: »Jedenfalls vorerst.« Damit verschwand er.
Bolitho setzte sich und starrte die Wände voller Bücher an, diese immense Anhäufung von Bildung und Wissen.
Krieg – was bedeutete er für Männer wie Marcuard? Fähnchen auf einer Karte, gewonnenes oder verlorenes Land, Investitionen oder Abschreibungen? Jedenfalls kaum Kanonenfeuer und zerfetzte Leichen.
Unten saß Allday in der geräumigen Küche und leerte genüßlich einen Krug Bier, während er den frischen Tabak paffte, den ein Lakai ihm angeboten hatte.
In allen fremden Häusern war die Küche gewöhnlich Alldays erster Ansteuerungspunkt. Dort konnte er die Proviantlage und auch die Chancen weiblicher Gesellschaft direkt an der Quelle sondieren.
Im Augenblick sah er der Küchenmagd zu, einem großbusigen Mädchen mit lachenden Augen und bis zu den Ellbogen bemehlten Armen. Allday hatte schon herausgefunden, daß sie Maggie hieß.
Er nahm noch einen Schluck Bier. Eine feine Seemannsbraut würde sie abgeben, diese Maggie, dachte er. Darüber fiel ihm Bolitho ein, der irgendwo da oben allein herumsaß.
Denn er hatte gehört, daß Seine Lordschaft vor kurzem in der Kutsche weggefahren war, und fragte sich nun, ob er hinaufgehen und Bolitho Gesellschaft leisten sollte.
Die Köchin plapperte drauflos. »Unsere
Lady
Marcuard ist jetzt natürlich draußen auf dem Gut. Aber Seine Lordschaft wird diesmal Weihnachten bestimmt in der Stadt verbringen, möchte ich wetten.« Vielsagend sah sie Allday an und fügte hinzu: »Unserer Maggie ihr Mann wird nämlich jetzt draußen gebraucht, als zweiter Kutscher, verstehen Sie?«
Allday sah, wie die Magd errötete, während sie gesenkten Blicks weiter ihren Teig knetete.
Die Augen der älteren Frau wanderten zwischen beiden hin und her. »Ich sage immer, man soll nichts anbrennen lassen«, schloß sie zweideutig.
Seiner Britannischen Majestät
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