Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
die Ungleichheit auf Dauer wieder zu vermindern.
So weit das Versprechen des ökonomischen Mainstreams. Es war also alles gut gemeint. Und es war falsch. Aber warum?
Vom Wert der Arbeit
Die gesamte Argumentation basiert auf falschen und vor allem unvollständigen Annahmen. Das geht schon los mit der Annahme,
dass Erwerbsarbeit ein Übel ist. Diese Sichtweise von Arbeit widerspricht den gesellschaftlichen Normen einer Arbeitsgesellschaft
diametral. Arbeit zu haben ist in einer Arbeitsgesellschaft gleichbedeutend mit der Mitgliedschaft in und der Teilhabe an
dieser Gesellschaft. Wer keine Arbeit hat, ist ausgegrenzt. Er ist nicht Teil der Gesellschaft. Das ist auch der Grund, warum
viele Arbeitslose sehr schamhaft mit ihrer Arbeitslosigkeit umgehen, sie teilweise sogar verschweigen. Sie fühlen, dass sie
gegen allgemein akzeptierte Normen verstoßen, und versuchen diesen Verstoß zu vertuschen. Das ist zwar nicht gut, aber realistisch.
Daran ändert auch der immer wieder in den Talkshows präsentierte selbstbewusste Arbeitslose nichts, der stolz darauf ist,
nicht zu arbeiten. Er ist ein Außenseiter, der gegen die geltenden Normen verstößt, und macht durch sein offensives öffentliches
Auftreten einen Skandal daraus. Genau das ist auch seine Funktion für die entsprechenden Medien; und genau daraus zieht er
wiederum seine Bedeutung. |66| Würde sein Tun in Übereinstimmung mit den gängigen Normen stehen, dann wäre sein öffentliches Auftreten allerdings schlicht
langweilig und man würde ihn nicht mehr einladen. Man kann also gerade die Medienpräsenz dieses Arbeitslosen als schlagenden
Beweis für die Gültigkeit der Normen einer Arbeitsgesellschaft sehen.
All dies hat zunächst noch nichts mit der finanziellen Lage von Arbeitslosen zu tun, sondern allein mit ihrem Verhältnis zu
gesellschaftlichen Werten. Allerdings sind diese Normen nicht folgenlos, was unsere Löhne und Gehälter betrifft. Auf der Basis
dieses Wertesystems würden verzweifelte Arbeitsuchende nahezu jede Beschäftigung annehmen – selbst wenn sie dafür einen hohen
Preis zahlen müssten. Oft sind sie bereit, zu niedrigsten Löhnen zu arbeiten: Hauptsache Arbeit. Das macht ihre Verhandlungsposition,
die ohnehin für Arbeitslose alles andere als gut ist, gegenüber einstellenden Unternehmen sehr schwach und führt zu massivem
Druck auf die Löhne.
Dieser kann nur dort einigermaßen aufgefangen werden, wo tarifvertragliche Regelungen bestehen, die die Unternehmen binden.
Das ist aber gerade in vielen Dienstleistungsbereichen und vor allem in Ostdeutschland häufig nicht der Fall. Zudem haben
die Arbeitsmarktreformen den Druck in Richtung Niedriglöhne verstärkt. Das geschieht durch verschärfte Zumutbarkeitsregeln
für Arbeitslose, die schneller zu Sanktionen führen, wenn ein Arbeitsloser ein Stellenangebot ablehnt. Dann gibt es ja noch
die Möglichkeit, ein niedriges Gehalt, das unterhalb gesetzlicher Ansprüche aus dem Arbeitslosengeld II (Hartz IV) oder der
Grundsicherung liegt, durch entsprechende Zahlungen seitens des Staates auf die Höhe dieser Ansprüche aufzustocken. Dieses
Verfahren öffnet dem Lohndumping Tür und Tor.
Aus juristischer Sicht ist die Möglichkeit zur Aufstockung nur logisch – wenn Mindestansprüche bestehen, müssen sie auch erfüllt
werden. Es ist auch sozialpolitisch logisch – wenn dieses Mindesteinkommen das Existenzminimum markiert, dann muss der Staat
finanziell eingreifen. Ökonomisch ist es aber eine Einladung zum Lohndumping durch Plünderung der Staatskasse. Denn: Den Betrag, |67| den das Unternehmen nicht zahlt, holen sich die Arbeitnehmer – vom Arbeitgeber hierzu ermuntert – vom Staat. So funktioniert
das.
Die Situation ist paradox und das Ergebnis unerfreulich. Auf der einen Seite werden die Normen der Arbeitsgesellschaft von
breiten Teilen der Bevölkerung – einschließlich der Arbeitslosen – nach wie vor überzeugt vertreten. Bezahlte Erwerbsarbeit
ist für sie ein wichtiger Bestandteil ihrer Identität, ihres Lebens. Auf der anderen Seite unterstellen die Arbeitsmarktreformen
genau das Gegenteil, und das gilt insbesondere bei Arbeitslosen, die angeblich nicht arbeiten wollen. Die so motivierten Reformen
führen zu einem massiven finanziellen Werteverfall von Arbeit, gleichsam zu einer Abwertung von Arbeit im Vergleich zu Kapital.
Die Wertschätzung von Arbeit wird materiell herabgesetzt, obwohl sie normativ sehr hoch bewertet
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